Rz. 56

Die Neuregelung des § 110 HGB über die Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen (wohingegen § 110 HGB alt den Ersatz von Aufwendungen und Verlusten geregelt hatte) hat (ohne gesetzliche Entsprechung im GbR-Recht) folgenden Wortlaut:

 

(1) Ein Beschluss der Gesellschafter kann wegen Verletzung von Rechtsvorschriften durch Klage auf Nichtigerklärung angefochten werden (Anfechtungsklage).

(2) Ein Gesellschafterbeschluss ist von Anfang an nichtig, wenn er

1. durch seinen Inhalt Rechtsvorschriften verletzt, auf deren Einhaltung die Gesellschafter nicht verzichten können, oder

2. nach einer Anfechtungsklage durch Urteil rechtskräftig für nichtig erklärt worden ist.

Die Nichtigkeit eines Beschlusses der Gesellschafter kann auch auf andere Weise als durch Klage auf Feststellung der Nichtigkeit (Nichtigkeitsklage) geltend gemacht werden“.

1. Vorbemerkung

 

Rz. 57

Das Beschlussmängelrecht hat (nur für das Personenhandelsgesellschaftsrecht [mithin OHG und KG, nicht jedoch auch für die GbR bzw. die Partnerschaftsgesellschaft])[93] in den §§ 110 bis 115 HGB eine umfassende Regelung erfahren:[94]

In § 110 HGB erfolgt eine Unterscheidung zwischen einerseits (bloß) anfechtbaren und andererseits nichtigen Beschlüssen.
§ 111 HGB regelt die Anfechtungsbefugnis.
Die Klagefrist für die Anfechtungsklage findet eine Regelung in § 112 HGB.
 

Rz. 58

§ 113 HGB regelt die Anfechtungsklage (gerichtliche Zuständigkeit, Klagegegner, Benachrichtigung der Gesellschafter über die Klageerhebung, Streitwert und Umfang der Rechtskraft eines Urteils) und § 114 HGB die Nichtigkeitsklage sowie § 115 HGB die positive Feststellungsklage.

Die gerichtliche Geltendmachung von Beschlussmängeln bei Personenhandelsgesellschaften ist in Anlehnung an das aktienrechtliche Anfechtungsmodell (vgl. §§ 241 ff. AktG) erfolgt:[95]

Anfechtungsklage (§ 113 HGB) bei nach § 110 Abs. 1 HGB anfechtbaren Beschlüssen.
Nichtigkeitsklage (§ 114 HGB) bei nach § 110 Abs. 2 nichtigen Beschlüssen.
Allgemeine Feststellungsklage (§ 256 Abs. 1 ZPO), die isoliert oder nach § 115 HGB in Kombination mit einer Anfechtungsklage erhoben werden kann.
 

Rz. 59

Hingegen hat der Gesetzgeber davon Abstand genommen, das aktienrechtliche Anfechtungsmodell auf die GbR (ohne strukturierte Beschlusspraxis) zu übertragen: Es eigne sich – trotz seiner grundsätzlich denkbaren Übertragbarkeit – nicht für sämtliche Personengesellschaften,[96] "die nach einer gebotenen typisierenden Betrachtung gewisse Mindestanforderungen an die Formalisierung der Beschlussfassung erfüllen und einen erhöhten Professionalisierungsgrad aufweisen".[97]

 

Beachte:

Mangels planwidriger Regelungslücke kommt damit auch keine analoge Anwendung der §§ 110 bis 115 HGB auf die GbR in Betracht.[98] Gleiches gilt für die Partnerschaftsgesellschaft, weil im PartGG trotz vielfacher Verweise auf das Personenhandelsgesellschaftsrecht keiner auf die §§ 110 bis 115 HGB erfolgt.[99]

 

Beachte:

Durch gesellschaftsvertragliche Vereinbarung können die §§ 110 bis 115 HGB aber auch auf die GbR und die Partnerschaftsgesellschaft zur Anwendung gelangen (sog. Opt-In)[100] – und umgekehrt (aufgrund ihrer dispositiven Natur, vgl. § 108 HGB) ihre Anwendung für OHG und KG auch abbedungen werden (sog. Opt-Out).[101]

Der Gesetzgeber vermutet, dass die §§ 110 bis 115 HGB künftig auch auf das Beschlussmängelrecht der GmbH (das bislang vom Aktienrecht bestimmt worden ist) als "allgemeine Institutionenbildung"[102] "ausstrahlen wird".[103]

 

Beachte:

Das Beschlussrecht ist nach § 708 BGB bzw. § 108 HGB durch Vertragsgestaltungen weitgehend dispositiv[104] mit der Folge, dass GbR und Partnerschaftsgesellschaft ganz oder teilweise (Kombinationsmodell) die Opt-In-Möglichkeit am Maßstab der §§ 110 ff. HGB (Anfechtungsmodell – d.h. weg vom Feststellungsmodell) wählen können und OHG bzw. KG die Opt-Out-Möglichkeit, d.h. die Anwendbarkeit der §§ 110 ff. HGB teilweise oder auch ganz (Kombinationsmodell) abbedingen können,[105] wobei "eine stillschweigende Abbedingung (…) ohne entsprechende Anhaltspunkte nicht in Betracht [kommt]",[106] eine konkludente Abbedingung der §§ 110 ff. HGB ist anhand des objektiven Empfängerhorizonts nach den §§ 133, 157 BGB zu beurteilen.[107]

 

Rz. 60

Problembehaftet ist die Frage einer Zulässigkeit von Schiedsklauseln[108] – mithin einer gesellschaftsvertraglichen Vereinbarung, wonach Beschlussmängelstreitigkeiten im Schiedsverfahren beigelegt werden können.[109] Liebscher[110] konstatiert, dass § 113 Abs. 6 und § 114 S. 1 HGB – in Anlehnung an die §§ 248 Abs. 1 S. 1, 249 Abs. 1 S. 1 AktG – eine erga-omnes-Wirkung kassatorischer Entscheidungen normieren und damit "die Grundlage für eine Übertragung der für Kapitalgesellschaften entwickelten Maßstäbe für Schiedsvereinbarungen" bieten und damit "künftig für Personenhandelsgesellschaften zu berücksichtigen [sind], die die gesetzlichen Vorschriften nicht abbedingen".[111]

[93] RegE, BT-Drucks 19/27635, S. 269. Keine Übertragung der im HGB getroffenen Regelungen auf die GbR: Schäfer/Grunewald

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