Rz. 120

Bei jeder Beantragung einer gerichtlichen Handlung, mit der ein selbstständiges Verfahren eingeleitet wird (z. B. Klage, Berufung, Arrest, usw.), müssen sich die RAe der Parteien über den Wert des Streitgegenstandes Gedanken machen, denn die Parteien sollen bei jedem Antrag, sofern dieser nicht in einer bestimmten Geldsumme besteht, den Wert des Streitgegenstands angeben (z. B. §§ 253 Abs. 3, 520 Abs. 4 Ziff. 1, 920 Abs. 1 ZPO). Außerdem verlangt § 61 GKG grundsätzlich bei jedem Antrag, der ein gebührenpflichtiges Verfahren einleitet, die Angabe des Wertes.

An diese Wertangabe sind weder die Parteien noch das Gericht gebunden. Der Kläger kann seine Wertangabe jederzeit berichtigen (§ 61 S. 2 GKG), da es sich zunächst zu Beginn eines Verfahrens häufig nur um eine erste Schätzung des Wertes handeln wird. Andererseits bleibt die Wertangabe des Klägers, wenn sie nicht widerlegt wird, maßgebender Anhaltspunkt für das Festsetzungsverfahren.

I. Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren (§ 32 RVG)

 

Rz. 121

In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten kann der Streitwert aus drei Gründen festgesetzt werden, weil man ihn benötigt als

Zuständigkeitsstreitwert,
Rechtsmittelstreitwert oder
Gebührenstreitwert.

Wenn durch das Gericht eine Festsetzung des Zuständigkeitsstreitwertes oder des Rechtsmittelstreitwertes erfolgt ist, dann ist diese Festsetzung auch für den Gebührenstreitwert maßgebend, und zwar für die Gerichtsgebühren (§ 62 S. 1 GKG), sowie für die Anwaltsgebühren (§ 32 Abs. 1 RVG). In § 62 S. 1 GKG wird dies jedoch eingeschränkt durch den Hinweis: "… soweit die Wertvorschriften dieses Gesetzes nicht von den Wertvorschriften des Verfahrensrechtes abweichen". Darin steckt die Logik, dass der Zuständigkeits- oder Rechtsmittelstreitwert nach den Wertvorschriften der §§ 3 bis 9 ZPO ermittelt wird, wobei dann naturgemäß die besonderen gebührenrechtlichen Bestimmungen der §§ 39 bis 60 GKG unberücksichtigt bleiben. Deshalb sagt § 63 Abs. 2 S. 1 GKG folgerichtig: "Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest …", womit für diese Fälle durch § 63 Abs. 2 GKG ein spezieller Festsetzungsbeschluss für den Gebührenstreitwert vorgeschrieben wird. Das Gericht muss den Wert durch Beschluss festsetzen, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt.

 

Beispiel:

Heike Hundeshagen hat für ihre Massagepraxis Räume des Vermieters Walter Hanebutt gemietet. Herr Hanebutt möchte diese Räume nun für seinen eigenen Bedarf verwenden und erklärt deswegen die fristlose Kündigung, da seiner Meinung nach der Mietvertrag ungültig sei. Frau Hundeshagen wendet dagegen ein, der Mietvertrag sei für 10 Jahre abgeschlossen und sie betreibe ihre Praxis erst seit einem Jahr. Sie werde daher die Räume erst in 9 Jahren verlassen und bis dahin die monatliche Miete von 900,00 EUR (Kaltmiete) pünktlich entrichten.

Nun klagt Herr Hanebutt auf Räumung und wird dabei von RA Taler vertreten, der die Räumungsklage beim Landgericht einreicht (Zuständigkeitsstreitwert, da es nicht um Wohnraum geht, gemäß § 8 ZPO: 9 x 12 x 900,00 EUR = 97.200,00 EUR).

Das Landgericht weist die Räumungsklage zurück, da ein wirksam abgeschlossener Mietvertrag für 10 Jahre besteht, der nicht vor seinem Ablauf gekündigt werden kann.

Der vom Gericht festgesetzte Zuständigkeitsstreitwert von 97.200,00 EUR ist für die Gerichtsgebühren nicht verbindlich, da § 41 Abs. 2 GKG für die Gebühren eine vorrangige Sonderregel enthält – und damit auch zugleich nicht bindend gemäß § 32 Abs. 1 RVG für die Anwaltsgebühren.

Nach § 63 Abs. 2 S. 1 GKG setzt das Landgericht bei Erlass des Urteils den Gebührenstreitwert gemäß § 41 Abs. 2 GKG fest auf: 12 x 900,00 EUR = 10.800,00 EUR. Dieser Wert ist nach § 32 Abs. 1 RVG auch für die Anwaltsgebühren maßgebend.

 

Rz. 122

Die Festsetzung des Gebührenstreitwertes ist vom Prozessgericht nach § 63 GKG von Amts wegen durch Beschluss vorzunehmen

bei Eingang einer Klage oder eines Antrags, wenn streitwertabhängige Verfahrenskosten im Voraus zu zahlen sind und wenn der Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist (§ 63 Abs. 1 S. 1 GKG). Diese Festsetzung ist dann nur vorläufig, damit der Kostenbeamte die Vorauszahlung anfordern kann; sie wird aber in den meisten Fällen der endgültigen Wertfestsetzung entsprechen;
bei Erlass einer Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand (z. B. Endurteil), wenn ein Festsetzungsbeschluss über den Zuständigkeitsstreitwert gemäß § 62 S. 1 GKG nicht ergangen ist oder nach § 62 S. 1 Hs. 2 GKG für den Gebührenstreitwert keine bindende Wirkung hat (§ 63 Abs. 2 S. 1 GKG). Dies gilt auch, wenn das gesamte Verfahren sich anders als durch Entscheidung des Gerichts erledigt, also z. B. durch Zurücknahme der Klage.
 

Rz. 123

Zuständig für das Wertfestsetzungsverfahren ist das Prozessgericht der jeweiligen Instanz, sodass für jede Instanz der Streitwert eigenständig festgesetzt werden kann.

Das Gericht ...

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