Rz. 298

Wenn der Arbeitnehmer die Ausschlussfrist aus Gründen versäumt hat, die er nicht zu vertreten hat, beginnt eine Nachfrist von zwei Monaten zur Stellung des Antrags.[216]

 

Rz. 299

 

Beispiel

Der Arbeitnehmer hat z.B. nicht voraussehbare Postverzögerungen nicht zu ver­treten.[217]

 

Rz. 300

Grundsätzlich schadet die Unkenntnis der Frist oder der Rechtslage. Ausnahmsweise hat der Arbeitnehmer die Unkenntnis nicht zu vertreten, wenn ein Rechtsrat nicht rechtzeitig einzuholen war.[218] Ein Arbeitnehmer, der unverschuldet keine Kenntnis von der Insolvenz seines Arbeitgebers hat, ist besonders zu schützen. Solange er darauf vertrauen darf, der Arbeitgeber werde die rückständigen Ansprüche noch befriedigen, ist der Arbeitnehmer grundsätzlich nicht gehalten, vorsorglich einen Antrag auf Insolvenzgeld zu stellen. Er kann sich – nach den Umständen des Einzelfalls – auch dann ausreichend um die Durchsetzung seiner Ansprüche auf Arbeitsentgelt bemüht haben (§ 324 Abs. 3 S. 3 SGB III), wenn er diese über einen längeren Zeitraum (etwa vier Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses) zunächst nur mündlich gegenüber seinem früheren Arbeitgeber geltend macht.[219]

 

Rz. 301

Nach § 324 Abs. 3 S. 3 SGB III hat der Arbeitnehmer die Versäumung der Frist zu vertreten, wenn er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat. Das bedeutet, dass auch ausgeschiedene Arbeitnehmer sich zügig um die Durchsetzung ihrer rückständigen Ansprüche im Insolvenzgeldzeitraum bemühen müssen. Ein längeres Abwarten, ob die Zwangsvollstreckung zum Erfolg führt, hat der Arbeitnehmer zu vertreten.[220]

 

Rz. 302

Der Arbeitnehmer muss sich das Verschulden seines Vertreters anrechnen lassen. Hinsichtlich der Versäumung der Frist ist dem Antragsteller die Versäumnis des von ihm beauftragten Rechtsanwalts zuzurechnen. Der dem Rechtsanwalt erteilte Auftrag, einen arbeitsrechtlichen Anspruch im Insolvenzverfahren durchzusetzen, umfasst regelmäßig auch die Verpflichtung, den Arbeitnehmer über die Voraussetzungen eines Insolvenzgeldanspruchs zu informieren. Der Antragsteller trägt die Folgen schuldhaften Verhaltens seines Bevollmächtigten. Dabei genügt bereits leichte Fahrlässigkeit, um die Einräumung einer Nachfrist auszuschließen.[221]

 

Rz. 303

Demgegenüber gehört die "Weiterleitung" von Insolvenzgeldanträgen der Arbeitnehmer nicht zum Pflichtenkreis eines Insolvenzverwalters. Nach § 324 Abs. 3 S. 1 und 2 SGB III hat vielmehr der Arbeitnehmer selbst dafür Sorge zu tragen, dass ein solcher Antrag fristgerecht gestellt wird. Im Zusammenhang mit einer ggf. unentgeltlich und aus Gefälligkeit übernommenen Weiterleitung handelt der Insolvenzverwalter daher nicht für die Masse, so dass diese auch nicht über §§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, 31 BGB für eventuelle Pflichtverletzungen einzustehen hat; eine Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten (vgl. § 60 InsO) liegt nicht vor.[222]

 

Rz. 304

Die Nachfrist beginnt mit dem Ende der unverschuldeten Unkenntnis vom Insolvenzfall.[223] Das heißt, dass der Lauf der Frist beginnt, sobald der Arbeitnehmer das Insolvenzereignis kennt oder bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt davon hätte Kenntnis haben müssen.[224] Die Härtefallregelung des § 324 Abs. 1 S. 2 SGB III ist auf das nachträglich zu beantragende Insolvenzgeld nicht anwendbar.[225]

 

Rz. 305

 

Hinweis

Beruft sich die Arbeitsagentur auf die Ausschlussfrist, ist dies rechtsmissbräuchlich, wenn sie trotz Kenntnis einer Abtretung nach § 170 SGB III im Widerspruch zu § 16 Abs. 3 SGB I nicht darauf hinwirkt, dass die antragstellenden Arbeitnehmer eine Vollmacht des Kreditinstituts beibringen.[226]

Achtung! Es besteht keine Befugnis des Insolvenzverwalters, Rechte der Arbeitnehmer gegenüber der Agentur für Arbeit wahrzunehmen.

 

Rz. 306

Das BSG hat am 4.4.2017[227] entschieden, dass die an die Agentur für Arbeit gerichtete Insolvenzgeldbescheinigung des Insolvenzverwalters weder generell noch im Einzelfall einen fristwahrenden Antrag des Arbeitnehmers auf Zahlung von Insolvenzgeld beinhaltet. Die dem Insolvenzverwalter obliegende Bescheinigungspflicht verleihe ihm nicht die Befugnis, Rechte der Arbeitnehmer gegenüber der Agentur für Arbeit wahrzunehmen; seine Rechtsstellung sei nicht mit derjenigen des Arbeitgebers im Kurzarbeitergeldverfahren vergleichbar, dem die Durchsetzung der Ansprüche der Arbeitnehmer obliege und dem das Gesetz ausdrücklich ein Antragsrecht einräume.

Das LSG Niedersachsen-Bremen hat sich am 13.3.2018 – L 7 AL 71/16 ausführlich mit der Problematik von Arbeitnehmer-Einstellungen nach Antragstellung, aber vor Insolvenzeröffnung beschäftigt und hierzu ausgeführt, dass auch dann Anspruch auf Insolvenzgeld bestehe, wenn Arbeitnehmer nach dem Antrag auf ein Insolvenzverfahren, aber vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingestellt werden. Ein entsprechender ­Arbeitsvertrag verstoße weder gegen die §§ 165, 169, 170 SGB III, noch gegen die §§ 134, 138 BGB. Ein Arbeitnehmer könne nach Beantragung bis zur bestandskräftigen Ablehnung von Inso...

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