Rz. 49

Das Konsultationsverfahren mit der Arbeitnehmervertretung hat bis zur Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Junk keine wesentliche Rolle gespielt, da dieses nach früherer Rechtsprechung des BAG zum einen keinen individualschützenden Charakter besaß, zum anderen noch lange nach Ausspruch der Kündigungen durchgeführt werden konnte. Nach der Rechtsprechung des EuGH soll die Konsultation mit der Arbeitnehmervertretung allerdings der Vermeidung der Entlassungen dienen. Die praktische Wirksamkeit einer solchen Verpflichtung wäre beeinträchtigt, wenn der Arbeitgeber die Arbeitsverträge während dieses Verfahrens kündigen dürfte, da es für die Arbeitnehmervertreter erheblich schwieriger ist, die Rücknahme einer bereits getroffenen Entscheidung zu erreichen als den Verzicht auf eine beabsichtigte Entscheidung.[114] Das Konsultationsverfahren muss deshalb vor Ausspruch der Kündigungen durchgeführt werden.[115] Es hat dadurch erheblich an Bedeutung zugenommen und ist mittlerweile wesentlicher Bestandteil des Massenentlassungsschutzes geworden.

I. Verhältnis zu anderen Beteiligungsverfahren

 

Rz. 50

Bei dem Konsultationsverfahren handelt es sich um ein eigenständiges Beteiligungsverfahren, das insbesondere neben etwaig erforderlichen Verhandlungen über Interessenausgleich und Sozialplan eine eigenständige Bedeutung besitzt. Die verschiedenen Beteiligungsverfahren können zwar miteinander verbunden und vom Arbeitgeber gleichzeitig erfüllt werden.[116] Eine solche Verbindung verletzt keine unionsrechtlichen Vorgaben.[117] Voraussetzung ist allerdings, dass dieselbe Arbeitnehmervertretung zu beteiligen ist und die gegenüber dieser nach den verschiedenen Vorschriften bestehenden Verpflichtungen übereinstimmen.[118] Es müssen insbesondere alle materiellen Voraussetzungen des Konsultationsverfahrens einschließlich der ordnungsgemäßen Unterrichtung erfüllt sein. Zudem muss die Arbeitnehmervertretung zweifelsfrei darüber in Kenntnis gesetzt werden, welchem Verfahren die Unterrichtung zu dienen bestimmt ist.[119]

 

Rz. 51

 

Hinweis

Weitere Informationspflichten ergeben sich in gemeinschaftsweit tätigen Unternehmen gegenüber dem Europäischen Betriebsrat. Dieser ist gemäß §§ 29 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 10, 30 Abs. 1 Nr. 3 EBRG einmal jährlich oder aktuell aus gegebenem Anlass über Massenentlassungen zu unterrichten und anzuhören. Die Verletzung dieser Pflichten kann gemäß § 45 EBRG mit einer Geldbuße von bis zu 15.000 EUR geahndet werden.

[116] BAG v. 13.12.2012 – 6 AZR 752/11; Schaub/Linck, § 142 Rn 16.
[119] BAG v. 9.6.2016 – 6 AZR 638/15; BAG v. 26.2.2015 – 2 AZR 955/13; BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 155/11; BAG v. 18.1.2012 – 6 AZR 407/10; APS/Moll, vor § 17 KSchG Rn 20; Clemenz, in: FS Bauer, 2010, S. 229; Franzen, ZfA 2005, 437; Grau/Sittard, BB 2011, 1845.

II. Zuständigkeit der Arbeitnehmervertretung

 

Rz. 52

Die für das Konsultationsverfahren zuständige Arbeitnehmervertretung ist gemäß Art. 1 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie die Arbeitnehmervertretung "nach den Rechtsvorschriften oder der Praxis der Mitgliedstaaten". Die Zuständigkeit der Arbeitnehmervertretung richtet sich deshalb nach der gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung des nationalen Rechts. Voraussetzung ist allerdings, dass die Arbeitnehmervertretung auch tatsächlich existiert.[120]

 

Rz. 53

 

Hinweis

Ungeklärt ist, ob die Arbeitnehmervertretung noch zu konsultieren ist, wenn sich diese erst konstituiert, nachdem die Entscheidung, Massenentlassungen vorzunehmen, abschließend getroffen, aber noch nicht umgesetzt worden ist.[121]

[120] APS/Moll, § 17 KSchG Rn 58; Wißmann, RdA 1998, 221.
[121] Abl. APS/Moll, § 17 KSchG Rn 56.

1. Betriebe der privaten Wirtschaft

 

Rz. 54

Die Konsultationsverpflichtung aus § 17 Abs. 2 KSchG bezieht sich nach ihrem Wortlaut auf die Arbeitnehmervertretung der privaten Wirtschaft, den Betriebsrat. Dabei ist grundsätzlich der örtliche Betriebsrat zu beteiligen. Wird eine geplante Massenentlassung allerdings auf der Grundlage eines unternehmenseinheitlichen Konzepts durchgeführt und sind mehrere Betriebe betroffen, so dass die Verteilungsfrage betriebsübergreifend beantwortet werden muss, ist gem. § 50 Abs. 1 BetrVG der Gesamtbetriebsrat für den Abschluss des Interessenausgleichs und damit auch für das Konsultationsverfahren zuständig.[122] Diese Zuständigkeit umfasst gemäß § 50 Abs. 1, 2. Hs. BetrVG auch betriebsratslose Betriebe. Die gesetzliche Zuständigkeitsverteilung innerhalb der Betriebsverfassung ist grundsätzlich zwingend.[123] Die Durchführung eines Konsultationsverfahrens mit der unzuständigen Arbeitnehmervertretung führt deshalb zur Unwirksamkeit der Kündigung.[124]

 

Rz. 55

 

Hinweis

Nach überwiegender Auffassung kann ein Gesamtbetriebsrat auch in Unternehmen mit Sitz im Ausland gebildet werden, wenn in den deutschen Betrieben Betriebsräte gewählt worden sind.[125] Ein Mitbestimmungsdefizit bei Massenentlassungen kann deshalb auch in internationalen Unternehmen vermieden werden.

 

Rz. 56

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