Rz. 34
Den Entlassungen stehen gemäß § 17 Abs. 1 S. 2 KSchG andere Beendigungen des Arbeitsverhältnisses gleich, die vom Arbeitgeber veranlasst werden. Diese Regelung geht zurück auf Art. 1 Abs. Unterabs. 2 der Richtlinie, demgemäß "für die Berechnung der Zahl der Entlassungen diesen Entlassungen auch andere Beendigungen des Arbeitsverhältnisses gleichgestellt werden, die auf Veranlassung des Arbeitgebers aus einem nicht in der Person des Arbeitnehmers liegenden Grund beruhen, sofern die Zahl der Entlassungen mindestens fünf beträgt". Nach unionsrechtlicher Vorgabe können demnach andere Beendigungstatbestände den Massenentlassungsschutz nur vermitteln, wenn die Zahl der "echten" Entlassungen mindestens fünf beträgt.[92] Eine vergleichbare Einschränkung enthält § 17 Abs. 1 S. 2 KSchG allerdings nicht;[93] andere Beendigungstatbestände können daher den Massenentlassungsschutz auch dann vermitteln, wenn nur eine einzige "echte" Entlassung vorgenommen wird.[94]
Rz. 35
Andere Beendigungstatbestände in diesem Sinne sind insbesondere arbeitgeberseitig veranlasste Aufhebungsverträge und Eigenkündigungen.[95] Eine Veranlassung des Arbeitgebers liegt vor, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zu verstehen gibt, dass der Arbeitgeber jedenfalls das Arbeitsverhältnis beenden werde, weil nach Durchführung einer Betriebsänderung keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr bestehe,[96] der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer deshalb zum gleichen Zeitpunkt kündigen werde, wenn dieser der Aufforderung zur Kündigung nicht nachkomme.[97] Nach Auffassung der Bundesagentur für Arbeit genügt auch ein Verhalten des Arbeitgebers, das eine Betriebsstilllegung als unabwendbar erscheinen lässt, etwa die definitive Aussage, die Löhne nicht mehr zahlen zu können oder das Abschalten von Strom und Wasser.[98] Demgegenüber zählen Eigenkündigungen und Aufhebungsverträge, die auf die Initiative des Arbeitnehmers zurückgehen, nicht zu den anzeigepflichtigen Entlassungen. Dreiseitige Verträge zum Übergang in eine Transfergesellschaft stellen jedenfalls so lange eine Entlassung dar, wie der Übergang der Arbeitnehmer in die Transfergesellschaft noch nicht feststeht.[99]
Rz. 36
Das Auslaufen befristeter Verträge stellt nach der Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. a) der Richtlinie keine Entlassung dar, wohl aber die Entlassung vor der ursprünglich vereinbarten Vertragsdauer, da die Arbeitnehmer sich in diesem Fall in der gleichen Lage befinden wie unbefristet beschäftige Arbeitnehmer.[100] Befristet beschäftigte Arbeitnehmer sind daher aus unionsrechtlicher Sicht zwar bei der Anzahl der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer mitzuzählen, nicht aber bei der Anzahl der Entlassungen. Ob diese Sichtweise uneingeschränkt auch der Auslegung von § 17 Abs. 1 KSchG zugrunde gelegt werden muss, kann zumindest in Frage gestellt werden. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Befristung lässt sich jedenfalls dann nach Wortlaut und Systematik als vom Arbeitgeber veranlasste Beendigung i.S.v. § 17 Abs. 1 S. 2 KSchG subsumieren, wenn das Auslaufen der Befristung und die Nichtverlängerung des Arbeitsverhältnisses in Umsetzung der der Massenentlassung zugrunde liegenden unternehmerischen Entscheidung erfolgt. Als gegenüber der Richtlinie günstigere Regelung wäre eine solche Auslegung auch von Art. 5 der Richtlinie gedeckt. Indes ist nicht zu verkennen, dass der Gesetzgeber mit der Einführung von § 17 Abs. 1 S. 2 KSchG der Erweiterung des Anwendungsbereichs in Art. 1 Abs. 1 der RL 92/56/EWG Rechnung tragen wollte, dabei aber keine überschießenden Umsetzungstendenzen hat erkennen lassen.[101] Nach h.M. sind deshalb Befristungen nicht als Entlassung anzusehen. Etwas anderes wird nur angenommen, wenn gerade die Tatsache der Stilllegung eines Betriebs(-teils) als auflösende Bedingung vereinbart wird und dadurch die Anwendung des Massenentlassungsschutzes umgangen werden soll.[102]
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