Rz. 102

Die Massenentlassungsanzeige muss grundsätzlich vor Ausspruch der Kündigung ­erstattet werden. Ihr ist die Stellungnahme der Arbeitnehmervertretung gemäß § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG beizufügen, alternativ die Unterrichtung glaubhaft zu machen und der Stand der Beratungen mit der Arbeitnehmervertretung darzulegen.

 

Rz. 103

In diesem Zusammenhang hatte das BAG ursprünglich angenommen, die Beifügung der Stellungnahme der Arbeitnehmervertretung sei zwar Wirksamkeitsvoraussetzung für die Massenentlassung, diese könne aber jedenfalls bis zum Ausspruch der Kündigung nachgereicht werden.[210] Das Konsultationsverfahren musste demnach bei Erstattung der Anzeige noch nicht abgeschlossen sein. Allerdings ergibt sich aus der Rechtsprechung des EuGH bislang nicht eindeutig, ob es genügt, dass im Zeitpunkt der Kündigungserklärung sowohl das Konsultationsverfahren durchgeführt als auch die Massenentlassungsanzeige erstattet worden ist, oder, ob nicht vielmehr die Richtlinie schon vor dem Ausspruch der Kündigungen eine zeitliche Abfolge der Verfahren dahingehend vorsieht, dass das Konsultationsverfahren abgeschlossen sein muss, bevor die Massenentlassungsanzeige wirksam erstattet werden kann.[211] Generalanwalt Tizzano hatte bereits in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Junk darauf hingewiesen, dass sich "aus der Richtlinie eine Reihe von Verfahrensschritten ergibt, die in zwei aufeinanderfolgende Phasen gegliedert sind. […] Diese zweite Phase besteht in der Anzeige der Massenentlassung bei der zuständigen Behörde. Diese Phase kann meiner Ansicht nach nur auf die Konsultationsphase folgen, da der Arbeitgeber die Konsultationen in der Anzeige erwähnen muss".[212] Vieles spricht daher dafür, dass das Konsultationsverfahren durchgeführt und abgeschlossen sein muss, bevor die Massenentlassungsanzeige wirksam erstattet werden kann.[213] Das BAG hat die Frage bislang offenlassen können, für den Fall dass sie einmal entscheidungserheblich sein würde, allerdings bereits eine Vorlage an den EuGH angekündigt.[214]

 

Rz. 104

Ohne Zweifel muss das Konsultationsverfahren jedoch zumindest bereits eingeleitet worden sein, bevor die Anzeige erstattet werden kann. Das Konsultationsverfahren wirkt insoweit in das Anzeigeverfahren hinein, als der Arbeitgeber bei Anzeigeerstattung die Stellungnahme des Betriebsrats beifügen, alternativ die ordnungsgemäße Unterrichtung der Arbeitnehmervertretung glaubhaft machen und den Stand der Beratungen darlegen muss. Gelingt dies nicht, weil ein Konsultationsverfahren noch nicht eingeleitet worden ist, kann die Anzeige nicht wirksam erstattet werden. Eine zwingende Mindestfrist von zwei Wochen nach Einleitung des Konsultationsverfahrens lässt sich dem Gesetz umgekehrt jedoch auch nicht entnehmen. Zwar muss der Arbeitgeber bei Fehlen einer Stellungnahme des Betriebsrats glaubhaft machen, dass er den Betriebsrat mindestens zwei ­Wochen vor Anzeigeerstattung unterrichtet hat, so dass in diesem Fall faktisch eine entsprechende Frist einzuhalten ist. Gibt der Betriebsrat allerdings eine Stellungnahme bereits vor Ablauf von zwei Wochen nach der Unterrichtung ab, kann auch die Anzeigeerstattung entsprechend früher erfolgen.[215]

[212] Schlussanträge des GA Tizzano vom 30.9.2004 in der Rechtssache C-188/03, Junk.
[213] Ebenso EUArbR/Spelge, RL 98/59/EG, Art. 2 Rn 41; Schaub/Linck, § 142 Rn 17; HWK/Molkenbur, § 17 KSchG Rn 30.

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