Rz. 22

Bei der Prüfung der Erfolgsaussichten sind zwei Aspekte maßgebend, nämlich die rechtliche und die tatsächliche Seite.

 

Rz. 23

Unter rechtlichen Gesichtspunkten kann die Erfolgsaussicht nur dann verneint werden, wenn der Sachvortrag des Versicherungsnehmers nicht schlüssig ist, also wenn der dem Begehren zugrunde liegende Sachverhalt - seine Richtigkeit unterstellt - den erstrebten rechtlichen Erfolg nicht herbeiführen kann.[18] In Betracht zu ziehen ist auch, dass ggf. ein unschlüssig erscheinendes Vorbringen noch weiterer Aufklärung bedarf, um Schlüssigkeit herbeizuführen.

 

Rz. 24

In tatsächlicher Hinsicht kommt in Betracht zu prüfen, ob bei einem schlüssigen Vorbringen der zugrunde liegende Sachverhalt bei einem erwarteten Bestreiten durch den Gegner beweisbar ist. Hier greift die Aufklärungs- und Anzeigeobliegenheit für den Versicherungsnehmer ein. Dieser muss nämlich ihm bereits bekannte Einwendungen des Gegners vollständig mitteilen.[19]

 

Rz. 25

Werden seitens des Versicherungsnehmers zulässige Beweismittel für die Richtigkeit seiner Sachdarstellung angeboten, so ist es der Rechtsschutzversicherung bei der Prüfung der Erfolgsaussicht verwehrt, das Ergebnis einer Beweisaufnahme vorwegzunehmen.[20]

 

Rz. 26

Wurde durch das Gericht bereits Prozesskostenhilfe gewährt oder bereits ein Beweisbeschluss erlassen, so kann die Rechtsschutzversicherung die Erfolgsaussicht nicht mehr verneinen.[21]

Liegt bereits ein Gutachten vor, aus dem sich ergibt, dass eine beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, so stellt sich die Frage, ob die Rechtsschutzversicherung hierauf gestützt Deckungsschutz verweigern kann. Dies hat das OLG Karlsruhe[22] bejaht, jedoch mit der Erwägung, dass nach der Einholung eines weiteren Gutachtens im Schadenersatzprozess nicht mit einem Gutachten zugunsten des Klägers über die Feststellung des Vorgutachtens hinaus zu rechnen ist. Auch beruft die Entscheidung sich auf die Prüfung gem. § 114 ZPO, die eingeschränkte, vorweggenommene Beweiswürdigung zulässt. Die Grundsätze und das Ergebnis dieses Urteils dürften sicherlich nicht allgemeingültig gewertet werden. Vielmehr kommt es auf die Ausgangssituation in jedem einzelnen Fall an.

 

Rz. 27

Eine Besonderheit kommt in Betracht, wenn bei der Bewertung der Erfolgsaussichten der Versicherungsnehmer sich auf eine Erklärung oder Zusicherung des Versicherungsagenten beruft. In diesem Fall kann für die Rechtsposition des Versicherungsnehmers die sog. "Auge-und-Ohr-Rechtsprechung" in die Waagschale fallen. Es ist nämlich nach Rechtsprechung und Kommentierung von dem Grundsatz auszugehen, dass der Agent "Auge und Ohr und Mund des Versicherers" ist, sodass alle Kenntnisse und Erklärungen des Agenten dem Versicherer zugerechnet werden müssen.

 

Rz. 28

Besonderheiten gelten hinsichtlich der Erfolgsaussicht, wenn die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aufgrund eines Straßenverkehrsunfalls Streitgegenstand ist. Hier ist der Grundsatz zu beachten, dass die Haftungsverteilung sich nach § 17 Abs. 1 StVG richtet. In diesem Fall sind die gesamten Umstände des Falles maßgebend mit der Maßgabe, dass zu klären ist, ob der Straßenverkehrsunfall vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Stehen dem Versicherungsnehmer geeignete Beweismöglichkeiten für ein unfallursächliches Verschulden des Gegners zur Verfügung, so scheidet eine Ablehnung der Rechtsschutzdeckung wegen nicht gegebener Erfolgsaussicht aus. Eine Bewertung der Haftungsfragen in diesem Stadium durch die Rechtsschutzversicherung wäre unzulässig, weil sie das Ergebnis einer Beweisaufnahme antizipierte.

 

Beispiel

Es kommt zu einem Unfall auf einer Kreuzung, bei der in beiden Richtungen die Vorfahrtberechtigung durch Lichtzeichenanlagen geregelt wird. Jeder Unfallbeteiligte behauptet, die Lichtzeichenanlage in seiner Fahrtrichtung habe Grünlicht gezeigt, jeweils unterstützt durch Zeugenaussage.

 

Rz. 29

Die Erfolgsaussicht seitens der Rechtsschutzversicherung kann dann nicht abgelehnt werden, wenn das Vorbringen des Versicherungsnehmers als Anspruchsteller oder Kläger schlüssig ist und zum Nachweis geeignete Beweismittel benannt werden können. So genügt für die hinreichende Erfolgsaussicht z.B. bei einem Medizinschadenfall, dass der Anspruchsteller/Kläger schlüssig vorträgt, dass ein ärztlicher Kunstfehler vorliegt, wenn er sich hierfür auf ein ärztliches Gutachten oder Zeugnis eines Arztes, möglichst eines Spezialisten, berufen kann.

[18] LG Düsseldorf r+s 1996, 26.
[20] BGH NJW 1998, 266.
[21] LG Berlin VersR 1989, 799; AG Nürnberg AnwBl 1989, 189.
[22] VersR 2006, 969.

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