Rz. 218

Die gesetzlichen Kündigungsfristen verlängern sich gem. § 622 Abs. 2 BGB mit zunehmender Beschäftigungsdauer.

 

Rz. 219

Die verlängerten Kündigungsfristen sind nach der Dauer des Bestehens des Arbeitsverhältnisses in dem Betrieb oder Unternehmen gestaffelt. Bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer, die für die Bestimmung der längeren Kündigungsfristen maßgebend sind, wurden nach dem bis zum 31.12.2018 geltenden Wortlaut des § 622 Abs. 2 S. 2 BGB Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahres lagen, nicht berücksichtigt. Damit benachteiligte § 622 Abs. 2 S. 2 BGB Arbeitnehmer, die schon vor der Vollendung des 25. Lebensjahres beschäftigt wurden. Diese Benachteiligung verstößt gegen die §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG und den im primären Gemeinschaftsrecht der EG bestehenden Gleichheitssatz, der – jedenfalls nach Auffassung des EuGH (v. 19.1.2010 – C-555/07 – Kücükdeveci, NZA 2010, 85) – auch das Verbot der Altersdiskriminierung enthält. § 622 Abs. 2 S. 2 BGB war deshalb für nach dem 2.12.2006 ausgesprochene Kündigungen wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts nicht anwendbar (BAG v. 1.9.2010 – 5 AZR 700/09, NJW 2010, 3740). Bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer waren deshalb auch Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahres des Arbeitnehmers liegen, zu berücksichtigen (BAG v. 9.9.2010, AP Nr. 66 zu § 622 BGB). Mit Wirkung zum 1.1.2019 wurde § 622 Abs. 2 S. 2 BGB aufgehoben.

Verweist eine tarifvertragliche Regelung, die Bestimmungen zu Kündigungsfristen und Kündigungsterminen enthält, hinsichtlich der Berechnung der Kündigungsfrist rein deklaratorisch auf die gesetzliche Anrechnungsvorschrift des § 622 Abs. 2 S. 2 BGB, geht dieser Verweis für Kündigungen, die nach dem 2.12.2006 erklärt wurden, ins Leere (BAG v. 29.9.2011, BeckRS 2012, 67606). Falls es sich nicht nur um eine deklaratorische, sondern um eine eigenständige Tarifnorm handeln, ist die Regelung gem. § 7 Abs. 2 AGG wegen Verstoßes gegen das durch §§ 7 Abs. 1, 1 AGG konkretisierte Verbot der Altersdiskriminierung unwirksam (BAG v. 29.9.2011, BeckRS 2012, 67606).

Werden tarifliche Kündigungsfristenregelungen arbeitsvertraglich in Bezug genommen gilt im Ergebnis nichts anderes. Die Möglichkeit, bezüglich der Kündigungsfrist individualrechtlich hinter dem Gesetz zurückbleibende Vereinbarungen zu treffen, besteht – abgesehen von den Fällen des § 622 Abs. 5 BGB – nur im Rahmen einzelvertraglicher Übernahme einschlägiger tarifvertraglicher Regelungen (§ 622 Abs. 4 S. 2 BGB). Sind jedoch in Bezug genommene tarifvertragliche Vorschriften wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht unwirksam, schlägt dies auf die vertragliche Vereinbarung durch (BAG v. 29.9.2011, BeckRS 2012, 67606).

 

Rz. 220

Die Staffelung der verlängerten Kündigungsfristen gem. § 622 Abs. 2 S. 1 BGB beginnt mit einer Kündigungsfrist von einem Monat nach zweijähriger Beschäftigungsdauer und geht bis zu sieben Monate nach 20-jähriger Beschäftigungsdauer jeweils zum Ende eines Monates. Die verlängerten Kündigungsfristen sind nicht von der Zahl der Beschäftigten abhängig.

 

Rz. 221

Die Kündigung kann jeweils nur zum Ende eines Kalendermonates ausgesprochen werden. Um eine Kündigungsfrist von z.B. einem Monat zum Monatsende zu wahren, muss daher die Kündigung spätestens am letzten Tag des Vormonates zugegangen sein.

 

Rz. 222

 

Hinweis

Das Gesetz sieht in § 622 Abs. 1 S. 1 BGB für die verlängerten Kündigungsfristen folgende Staffelung vor:

 
Betriebszugehörigkeit Dauer der Kündigungsfrist  
über dem 25. Lebensjahr jeweils zum Monatsende  
2 Jahre 1 Monat  
5 Jahre 2 Monate  
8 Jahre 3 Monate  
10 Jahre 4 Monate  
12 Jahre 5 Monate  
15 Jahre 6 Monate  
20 Jahre 7 Monate  
 

Rz. 223

Vollendet wird das Lebensjahr gem. § 187 Abs. 2 S. 2 BGB mit Ablauf des Tages, der dem Geburtstag vorgeht (BAG v. 19.8.1965, AP BGB § 186 Rn 1).

 

Rz. 224

Die gem. § 622 Abs. 2 BGB verlängerten Kündigungsfristen gelten nach dem Wortlaut des Gesetzes nur für die arbeitgeberseitige Kündigung. Der Arbeitnehmer kann auch bei länger bestehenden Arbeitsverhältnissen mit der Grundkündigungsfrist kündigen. Will der Arbeitgeber sich vor einer zu kurzfristigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer schützen, muss er eine sog. Gleichstellungsabrede treffen. Dies hat zum Inhalt, dass die verlängerten Fristen auch für die Kündigung durch den Arbeitnehmer gelten. Die Regelung des § 622 Abs. 5 BGB steht dem nicht entgegen, denn diese Norm will nur Fristen ausschließen, die von den gesetzlichen nach unten abweichen. Eine Gleichstellungsabrede könnte alternativ wie folgt lauten:

 

Rz. 225

Muster 29.3: Gleichstellungsabrede für die verlängerten Kündigungsfristen

 

Muster 29.3: Gleichstellungsabrede für die verlängerten Kündigungsfristen

Soweit dem Arbeitnehmer aufgrund gesetzlicher oder tariflicher Vorschriften nur mit einer verlängerten Frist gekündigt werden darf, gilt diese verlängerte Kündigungsfrist gleichermaßen auch für eine Kündigung seitens des Arbeitnehmers.

oder

Die Anwendung der Kündigungsfristen und -termine de...

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