Rz. 47

Die auf den ersten Blick nicht recht zueinander passenden verschiedenen zeitlichen Obergrenzen von entweder drei Monaten oder siebzig Arbeitstagen sind tatsächlich zwei ­verschiedene Fallvarianten. Die zuständigen Spitzenverbände der Sozialversicherung wenden die Drei-Monats-Grenze nur dann an, wenn der Betroffene die in Rede stehende Beschäftigung an (mindestens) fünf Tagen je Woche ausübt; in allen anderen Fällen wird die 70-Tage-Grenze herangezogen.[16] Richtiger wäre es wohl, die Drei-Monats-Obergrenze für zeitlich zusammenhängende, ununterbrochene Tätigkeiten und die 70-Tage-Grenze für die Vereinbarung einzelner, möglicherweise zu Vertragsbeginn noch gar nicht abschließend festgelegter Arbeitstage oder unstetiger Arbeitsperioden zu verwenden.

 

Rz. 48

Nach ebenfalls zweifelhafter Auffassung der Sozialversicherungsträger ist die Überschreitung einer Kalenderjahresgrenze für die Einordnung als kurzfristige Beschäftigung unschädlich.[17] Es kommt dann auf einen kalenderjahresübergreifenden Zwölf-Monats-Zeitraum an, so dass ein Beschäftigungsverhältnis mit fünf Arbeitstagen pro Woche wegen Überschreitens der 3-Monats-Grenze keinesfalls zeitgeringfügig sein könnte, wenn es beispielsweise für die Zeit vom 1.11. eines Jahres bis zum 28.2. des Folgejahres abgeschlossen wäre.

 

Rz. 49

Dennoch werden die Obergrenzen ergänzend auch auf das Kalenderjahr bezogen verstanden. Dies erlangt Bedeutung, wenn entweder mehrere Beschäftigungsverhältnisse mit demselben Arbeitgeber oder mehrere potenziell zeitgeringfügige Beschäftigungsverhältnisse mit verschiedenen Arbeitgebern innerhalb eines Kalenderjahres aufeinandertreffen. Sie sind dann zusammenzurechnen, und es ist zu prüfen, ob sie in Summe die Obergrenze von drei Monaten/siebzig Arbeitstagen nicht übersteigen.

 

Rz. 50

In beiden Fallvarianten sind jedenfalls nicht nur die tatsächlichen Arbeitstage zu zählen, sondern auch alle sonstigen Zeiträume, für die ein Entgeltanspruch besteht. Insbesondere sind also (mindestens) die wegen § 13 BUrlG gesetzlich zwingenden Urlaubstage mitzuzählen, ggfs. auch die noch darüber hinausgehende Anzahl von Urlaubstagen nach einer vertraglichen oder tariflichen Regelung.

 

Rz. 51

Erstreckt sich ein Nachtdienst über zwei Kalendertage, so gilt dies als nur ein Ar­beitstag.[18]

 

Rz. 52

 

Beispiel

Medizinstudent M finanziert sich sein Studium durch die Ableistung von Nachtdiensten. Hierzu hat er einen auf die Dauer eines Semesters befristeten Arbeitsvertrag mit den Universitätskliniken geschlossen. M leistet zwei Nachtdienste pro Woche, was bedeutet, dass er jeweils montags und donnerstags um 20.00 Uhr seinen Dienst antritt und diesen jeweils dienstags bzw. freitags um 06.00 Uhr beendet. M fragt nach, wie viele Nachtdienste er ableisten darf, ohne den Status als geringfügig Beschäftigter zu verlieren.

 

Rz. 53

Da M an nur zwei (also nicht an mindestens fünf Arbeitstagen) je Woche tätig wird, ist für die Beurteilung seines Arbeitsverhältnisses nicht der Drei-Monats-Zeitraum, sondern die Siebzig-Arbeitstage-Grenze entscheidend. Dass M an insgesamt vier Kalendertagen pro Woche für die Kliniken tätig ist, schlägt sich so nicht in der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung nieder. Denn da ein Nachtdienst als nur ein Arbeitstag gilt, selbst wenn er sich über zwei Kalendertage erstreckt, sind M pro Woche nur zwei Arbeitstage anzurechnen. Er kann also während des gesamten Semesters (max. 35 Wochen lang) jeweils zwei Nachtdienste pro Woche leisten, ohne seinen Status als geringfügig kurzfristig Beschäftigter zu verlieren.

[16] So die Richtlinien für die versicherungsrechtliche Beurteilung von geringfügigen Beschäftigungen (Geringfügigkeits-Richtlinien) des GKV-Spitzenverbands, der Deutsche Rentenversicherung Bund, der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See und der Bundesagentur für Arbeit vom 21.11.2018 unter Ziffer 2.3.1., dort auch Beispiele und weitere Nachweise.
[17] Geringfügigkeits-Richtlinien Ziffer 2.3; angesichts des Wortlauts ("innerhalb eines Kalenderjahres") sehr zweifelhaft, wie hier anderer Auffassung wohl Kasseler Kommentar/Seewald § 8 SGB IV Rn 24; Kazmierczak NZS 2003, 186, 187.
[18] BFH v. 28.1.1994 – VI R 51/93, juris; Rolfs, NZA 2003, 65, 67.

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