Rz. 28

Unter falschem Überholen ist jedes verkehrswidrige Überholmanöver zu verstehen. Falsches Fahren bei Überholvorgängen umfasst jedes verkehrswidrige Verhalten, das in einem inneren Zusammenhang mit einem Überholvorgang steht.[29] Der strafrechtliche Begriff ist nicht an den des § 5 StVO gebunden, wenngleich bei einem Verstoß gegen § 5 StVO von einem falschen Überholen im strafrechtlichen Sinn ausgegangen werden kann. Ein Verstoß liegt darüber hinaus vor, wenn die festgestellten Verkehrsverstöße bei typisierender Betrachtungsweise das Überholen als solches gefährlicher machen.[30]

Der strafrechtliche Begriff des Überholens ist zudem durch Auslegung des Regelungsgehalts der Strafrechtsnorm zu bestimmen. Ausgehend von der Wortbedeutung und unter Berücksichtigung des Umstands, dass das Sichbewegen auf derselben Fahrbahn kein taugliches Kriterium für eine abschließende Erfassung besonders gefährlicher Fälle des Vorbeifahrens liefert, wird das Tatbestandsmerkmal des Überholens auch durch ein Vorbeifahren von hinten an sich in derselben Richtung bewegenden oder verkehrsbedingt haltenden Fahrzeugen verwirklicht, das unter Benutzung von Flächen erfolgt, die nach den örtlichen Gegebenheiten zusammen mit der Fahrbahn einen einheitlichen Straßenraum bilden.[31]

 

Rz. 29

Das Überholen wird definiert als der tatsächliche absichtslose Vorgang des Vorbeifahrens auf demselben Straßenteil an einem anderen Verkehrsteilnehmer, der sich in derselben Richtung bewegt oder verkehrsbedingt wartet.[32] Es handelt sich also um ein Vorbeifahren von hinten an einem anderen Verkehrsteilnehmer.

Für den strafrechtlichen Begriff des Überholens kommt es nicht darauf an, dass die Fahrt nach dem Vorbeifahren an dem überholten Fahrzeug auf dessen Fahrbahn fortgeführt wird. Ein Überholen im strafrechtlichen Sinn liegt aber nicht vor, wenn das Vorbeifahren nicht auf der von dem anderen Fahrzeug benutzten Fahrzeug seinen Ausgang nimmt.[33]

 

Rz. 30

Das Überholen beginnt noch nicht, wenn lediglich etwas nach links versetzt gefahren wird, etwa um an dem vorausfahrenden Fahrzeug vorbeischauen zu können.[34] Anders zu beurteilen ist dies nur dann, wenn dabei auf die Gegenfahrbahn ausgeschert und beschleunigt wird.[35] Kommt es hierbei zur Gefährdung des Gegenverkehrs, so kommt statt eines Verstoßes gegen § 5 StVO ein solcher gegen § 1 Abs. 2 StVO in Betracht. Der Überholvorgang beginnt vielmehr spätestens mit dem Ausscheren nach links.[36]

 

Rz. 31

Beendet ist der Überholvorgang mit dem Wiedereinordnen in ausreichendem Abstand nach erneuter Fahrtrichtungsanzeige.[37] Ein Fehlverhalten nach Abschluss des Überholens wird von 315c Abs. 1 Nr. 2b nicht erfasst.[38]

 

Rz. 32

Muster 27.8: Kein Überholen

 

Muster 27.8: Kein Überholen

Ein Verstoß meines Mandanten gegen § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB liegt nicht vor.

Meinem Mandanten wird vorgeworfen, den am Straßenrand stehenden Bus überholt zu haben und vor diesem zu früh eingeschert zu sein, weshalb es zum Zusammenstoß mit diesem kam. Der Bus wurde dabei erheblich beschädigt.

Mein Mandant hat nicht überholt.

Das Überholen wird definiert als der tatsächliche absichtslose Vorgang des Vorbeifahrens auf demselben Straßenteil an einem anderen Verkehrsteilnehmer, der sich in derselben Richtung bewegt oder verkehrsbedingt wartet (BGH NJW 1968, 1533, 1534; KG r+s 2011, 174).

Überholt werden nur verkehrsbedingt, z.B. wegen eines Staus, haltende Fahrzeuge (BGH NZV 1994, 413). Der Omnibus hatte jedoch an der Haltestelle gehalten, um Fahrgäste aussteigen zu lassen. Dies ist kein verkehrsbedingtes Halten. Hält ein Omnibus planmäßig, um Fahrgäste aus- und/oder einsteigen zu lassen, ist dieses Verhalten gerade nicht auf die jeweilige Verkehrssituation zurückzuführen, also nicht verkehrsbedingt. Damit ist mein Mandant lediglich vorbeigefahren. Das Verhalten meines Mandanten ist daher ausschließlich an § 6 StVO zu messen. Diese Vorschrift ist nicht von § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB umfasst.

Das Verfahren ist gem. § 170 Abs. 2 StPO einzustellen.

 

Rz. 33

 

Praxistipp

Hier ist Vorsicht geboten. Da der BGH – wie gesehen – den sog. erweiterten Vorfahrtsbegriff vertritt, kann ein Verstoß gegen § 6 S. 1 StVO ggf. zu einer Strafbarkeit nach § 315c Abs. 1 Nr. 2a StGB führen, wenn es z.B. zum Zusammenstoß mit dem bevorrechtigten Gegenverkehr kommt.[39]

 

Rz. 34

Muster 27.9: Bremsen nach Abschluss des Überholvorgangs 40 Der Entscheidung des OLG Hamm DAR 2015, 399, nachgebildet.

 

Muster 27.9: Bremsen nach Abschluss des Überholvorgangs[40]

In der Strafsache

gegen _________________________

wegen Straßenverkehrsgefährdung

will ich zur Anklage materiell-rechtlich wie folgt vortragen:

Meinem Mandanten wird vorgeworfen, dass er längere Zeit hinter der auf der linken Fahrspur der BAB 2 fahrenden Zeugin _________________________ herfuhr. Als diese keine Anzeichen für einen Fahrspurwechsel auf die mittlere Fahrspur machte, soll mein Mandant dann auf die mittlere Fahrspur gewechselt haben, um die Zeugin rechts zu überholen. Er soll dann nur wenige Meter vor der Zeugin und unter deutl...

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