Rz. 25

Selbst nach diesen Entscheidungen bestand deshalb immer noch keine endgültige Klarheit, weil die meisten Gerichte die Voraussetzungen für die Verhängung eines Fahrverbotes bereits dann als gegeben ansahen, wenn auch nur leichte Fahrlässigkeit zu einem objektiv gefährlichen Verstoß geführt hatte (KG NZV 1995, 369; OLG Naumburg NStZ 1997, 215). Eine solche Auslegung würde indessen den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht gerecht:

 

Rz. 26

Nach allgemeiner Meinung ist vielmehr auch nach Einführung der BKatVO der § 25 StVG alleinige Rechtsgrundlage für die Verhängung eines Fahrverbotes (BGH zfs 1992, 30),[2] d.h. nach wie vor setzt die Verhängung eines Fahrverbotes die Feststellung eines groben (oder beharrlichen) Verstoßes voraus.

 

Rz. 27

Zwar hat der Gesetzgeber für bestimmte, generell besonders gefährliche Verkehrsverstöße in zulässiger Weise eine Vorbewertung mit der Folge vorgenommen, dass in diesen Fällen ein grober Verstoß indiziert wird, es liefe indessen verfassungsrechtlichen Grundsätzen zuwider, wollte man einen groben Verstoß alleine aufgrund der objektiven Gefährlichkeit und ohne Rücksicht auf das Ausmaß der subjektiven Vorwerfbarkeit bejahen (BVerfGE 27, 36 ff.). Mit Nachdruck hat deshalb der BGH (und ihm folgend die Oberlandesgerichte) in der Folge betont, dass ein grober Verstoß nur bejaht werden könne, wenn über die objektive Gefährlichkeit hinaus auch ein grobes Verschulden zu unterstellen sei (BGH zfs 1997, 432; OLG Dresden zfs 2006, 52; DAR 2010, 29; OLG Stuttgart DAR 2011, 220).

 

Rz. 28

 

Tipp: Augenblicksversagen

Immer dann, wenn ein Betroffener in einer Art und Weise versagt hat, wie das hin und wieder auch einem sorgfältigen Kraftfahrer passieren kann, liegt lediglich ein Augenblicksversagen und damit ein zu einem Fahrverbot führender subjektiv schwerer Verstoß nicht vor (BGH zfs 1997, 434; OLG Köln DAR 2003, 183; OLG Rostock zfs 2004, 40), wie z.B. das Übersehen eines einzigen (oder ersten) geschwindigkeitsbeschränkenden Verkehrszeichens (BGH zfs 1997, 434) oder des vor der bebauten Ortslage stehenden Ortseingangsschildes (OLG Dresden zfs 2006, 52), wobei die Feststellung, dass das Verkehrszeichen für den Betroffenen uneingeschränkt sichtbar war, der Annahme eines Augenblicksversagens nicht entgegensteht (OLG Hamm DAR 2008, 273), es sei denn, der Betroffene hätte die in der konkreten Situation (Baustelle, Fahrbahnverengung, Geschwindigkeitstrichter, wiederholte Verkehrszeichen, sichtbare geschlossene Bebauung etc.) gebotene Aufmerksamkeit nicht walten lassen (BGH zfs 1997, 434; OLG Koblenz DAR 2005, 47; OLG Hamm NZV 2007, 153; OLG Karlsruhe NZV 2007, 213). Davon kann darüber hinaus auch dann nicht ohne Weiteres ausgegangen werden, wenn die Straße wegen erkennbarer Fahrzeugschäden in einem schlechten Zustand war (OLG Oldenburg DAR 2014, 99).

Schließlich kann ein Verstoß u.U. nicht als grob einzustufen sein, wenn er durch einen Fehler der Behörde begünstigt wurde, z.B. Orts- oder Verkehrsschilder nicht vorschriftsmäßig (BayObLG zfs 1998, 234; OLG Hamm zfs 2011, 107) oder missverständlich (BayObLG zfs 2003, 472; OLG Jena DAR 2011, 37) aufgestellt waren bzw. der Betroffene nachvollziehbar über die Geltung von Zusatzzeichen irrte (OLG Bamberg DAR 2012, 475), eine Geschwindigkeitsbeschränkung für Verkehrsteilnehmer völlig überraschend angeordnet worden war (OLG Karlsruhe NZV 2006, 325) oder die Messung unter Verletzung von Toleranzrichtlinien durchgeführt wurde (OLG Dresden DAR 2010, 29; OLG Stuttgart DAR 2011, 220).

 

Rz. 29

Bei der Beurteilung, ob ein Augenblicksversagen vorliegt, können allerdings nur unmittelbar mit dem Verkehrsgeschehen zusammenhängende Vorgänge herangezogen werden, nicht jedoch die mit der psychischen Lage des Fahrers zusammenhängenden.

Deshalb ist z.B. die Tatsache, dass der Fahrer, von einer Beerdigung kommend, emotional besonders stark ergriffen war, ebenso wenig ein Grund, von einem Augenblicksversagen auszugehen (OLG Frankfurt DAR 2002, 82), wie wenn er einen nahen Verwandten, von dessen gravierender Erkrankung oder der Verschlechterung seines Gesundheitszustandes er gerade erst erfahren hat, möglichst schnell besuchen will (BayObLG DAR 2002, 173).

Schließlich kann auch die Tatsache, dass der Verkehrssünder ein ihm ungewohntes Fahrzeug geführt hat, die Annahme eines Augenblicksversagens nicht rechtfertigen (OLG Bamberg zfs 2012, 648).

[2] Hentschel, DAR 1996, 287.

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