Rz. 38

Die Regelung über die Rückforderung wegen Verarmung gemäß §§ 528, 529 BGB setzt die Notbedarfseinrede gemäß § 519 BGB für die Zeit nach Vollziehung der Schenkung (diese wird – anders als bei § 2325 BGB – nicht durch den Vorbehalt des Nießbrauchs gefährdet)[35] fort, als Ausprägung der Geschäftsgrundlagenlehre (clausula rebus sic stantibus). Von Bedeutung ist das Rückforderungsrecht insbesondere aufgrund seiner Überleitungsfähigkeit durch Verwaltungsakt auf den Sozialhilfeträger gemäß § 93 Abs. 1 SGB XII (die eingeschränkte zivilrechtliche Abtretbarkeit und Pfändbarkeit – § 852 Abs. 2 ZPO, § 400 BGB – wird durch § 93 Abs. 1 S. 4 SGB XII überwunden, Rdn 25), ebenso § 141 Abs. 1 und Abs. 2 S. 2 SGB IX bei Bezug von Eingliederungsleistungen für Behinderte, § 33 Abs. 1 S. 1 und 3 SGB II (als gesetzlicher Forderungsübergang) beim Bezug von Bürgergeld. Damit ist § 528 BGB das mit Abstand bedeutsamste "Einfallstor" zur Rückabwicklung vorangehender Schenkungen, wenn der Veräußerer während der zehn folgenden Jahre steuerfinanzierte Sozialleistungen in Anspruch nehmen muss ("verarmt").

 

Rz. 39

Maßgeblich für den Tatbestand, welcher bis zum Ablauf der an die Vollziehung anschließende Zehn-Jahres-Frist für die Verwirklichung des Anspruchs einzutreten bzw. zu bestehen hat, ist die Verarmung i.S.d. (wegen Fehlens einzusetzenden Einkommens und Vermögens) rechtmäßigen Inanspruchnahme nachrangiger Sozialleistungen oder von Zuwendungen Dritter, auf die kein oder noch kein gesetzlicher Anspruch besteht. Auch ist nicht etwa eine "Kausalität" in dem Sinne zu verlangen, dass die Verarmung ihrerseits sich als Folge der früheren Schenkung darstellen müsse (vgl. Wortlaut "nach" statt "infolge"), so dass § 528 BGB auch verwirklicht wird, wenn während des fortlaufenden Sozialleistungsbezugs (Schon-)Vermögen übertragen wird. § 528 BGB geht gesetzlichen Unterhaltsansprüchen vor (die Existenz des Anspruchs lässt demnach die Bedürftigkeit entfallen). Demnach ist durch den Sozialhilfeträger zunächst § 93 SGB XII geltend zu machen, erst dann greift der gesetzliche Forderungsübergang von Unterhaltsansprüchen gem. § 94 SGB XII bzw. gem. § 33 Abs. 2 SGB II in den dort genannten Grenzen; im Bereich des SGB IX (Behindertenhilfe) gibt es keinen Unterhaltsregress, vgl. § 141 Abs. 1 S. 2 SGB IX.

 

Rz. 40

Hinsichtlich des Inhalts des Rückforderungsanspruchs ist aufgrund der Verweisung auf das Bereicherungsrecht zu differenzieren zwischen vier Sachverhalten:

(1) Der Aktivwert des Geschenks ist niedriger als die bereits akkumulierte Bedarfslücke, deren Deckung im Weg des § 528 BGB geltend gemacht wird: Hier richtet sich der Anspruch originär auf die Rückgabe des geschenkten Gegenstands in Natur (ggf. Zug um Zug gegen Erstattung der Gegenleistung), nicht lediglich auf Wertersatz, § 812 Abs. 1 BGB.
(2) Macht bei vorstehendem Sachverhalt der Beschenkte von seiner Ersetzungsbefugnis gemäß § 528 Abs. 1 S. 2 BGB Gebrauch, wird im Wege der Novation eine Unterhaltspflicht begründet, die auch dann nicht erlischt, wenn der zu zahlende Unterhaltsbetrag den Wert des Geschenks übersteigt. Gemäß §§ 528 Abs. 1 S. 3, 760, 1613 Abs. 2 BGB haftet der Erwerber in diesem Fall für den laufenden Unterhaltsbedarf, welcher gemäß § 760 BGB jeweils auf drei Monate im Voraus zu befriedigen ist, sowie für den Sonderbedarf (z.B. außergewöhnlich hohe Aufwendungen wegen Übersiedlung in ein Alters- oder Pflegeheim) des vorangegangenen Jahres, und zwar auch ohne Vorliegen von Verzug oder Rechtshängigkeit.
(3) Davon zu unterscheiden ist der – bei Grundbesitzübertragungen in aller Regel vorliegende – Sachverhalt, dass der (Aktiv-)Wert des zugewendeten Gegenstands den Betrag der geltend gemachten und auszugleichenden Unterhaltslücke übersteigt, der Gegenstand jedoch nicht teilbar ist. Der Anspruch richtet sich dann (vgl. § 528 Abs. 1 S. 1 BGB "soweit") gemäß § 818 Abs. 2 BGB auf monatlichen Wertersatz in Geld zur Schließung der Bedarfslücke, solange bis der Nettobetrag der Schenkung (Zuwendung abzüglich des Wertes vereinbarter Gegenleistungen oder vorbehaltender Auflagen) aufgezehrt ist (unter Geltung des Grundsatzes "Geld hat man zu haben", es handelt sich also um keine Unterhaltsschuld!). Bis zur verschärften Haftung steht allerdings die Einrede der Entreicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) zu Gebote. Ein Weiterverschenken befreit nicht, § 822 BGB, auch nicht bei ehebedingter Zuwendung.[36]
(4) Aufgrund Analogie zu § 528 Abs. 1 S. 2 BGB steht dem Beschenkten in der regelmäßig verwirklichten Fallgruppe (3) auch eine "umgekehrte Ersetzungsbefugnis" zur Verfügung, sich von der wiederkehrenden Pflicht zur Leistung von Wertersatz durch Rückgabe der geschenkten Sache selbst, also Leistung eines aliud, zu befreien.[37] Der Beschenkte kann also zwischen Einkommens- oder Vermögenseinsatz wählen.
[35] BGH, 19.7.2011 – X ZR 140/10, MittBayNot 2012, 34; Everts, MittBayNot 2012, 23; vgl. auch Herrler, ZEV 2011, 66,9.
[36] BGH, 23.9.1999 – X R 114/96, ZNotP 2000, 27.
[37] BGH, 17.12.2009 – Xa 6/09, NotBZ 2010...

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