Rz. 23

Leistungen der "Fürsorge" wurden erst durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.6.1954 (BVerwGE 1, 159 ff.) verpflichtend, sie standen wie selbstverständlich unter dem Vorbehalt späterer Erstattung. Erst das BSHG vom 30.6.1961, getragen vom Optimismus in das Verschwinden der Armut während der Wirtschaftswunderzeit, etablierte die Sozialhilfe als "verlorenen Zuschuss", betonte jedoch den Vorrang des Einsatzes eigener Kräfte, vor allem der Arbeitskraft (sog. "Arbeitshäuser" für Jugendliche, Obdachlose etc., abgeschafft durch eine Entscheidung des BVerfG 1967). Insb. in Bezug auf behinderte Leistungsempfänger wurde in den Folgejahren das Subsidiaritätsprinzip immer weiter zurückgedrängt; der Durchsetzung des verbleibenden Restbestands an Nachrangigkeit dienen die nachstehend erläuterten Regressvorschriften. Sozialrechtlich handelt es sich um einen "negativen Tatbestand", also ein Rückgewähr- oder Erstattungsrechtsverhältnis, da vorrangig zur Verfügung stehende eigene Einkommens- und Vermögenswerte oder Ansprüche gegen Dritte nicht eingesetzt wurden. Regress ist also die nachträgliche Wiederherstellung der Subsidiarität, sei es im Verhältnis zum Sozialleistungsbezieher selbst oder im Verhältnis zu Dritten, gegen die ihm Ansprüche zustehen.

I. SGB XII

1. Überleitungsregress

 

Rz. 24

Gem. § 93 Abs. 1 SGB XI kann der Sozialleistungsträger durch schriftliche Anzeige (Verwaltungsakt) an einen Dritten Ansprüche, welche dem Hilfeempfänger oder einem Mitglied der (hier erweiterten[20]) Einsatzgemeinschaft gegen den Dritten zustehen, auf sich überzuleiten (im Bereich des SGB II, nachstehend Rdn 34 ff.), vollzieht sich dieser Übergang seit 1.8.2006 gar durch Legalzession). In Betracht kommen etwa Ansprüche aus Vertrag oder aus Gesetz (z.B. gem. § 528 BGB, aus Bereicherungsrecht o.Ä.), und zwar solche des privaten und des öffentlichen Rechts, auch soweit sie nicht (originär bzw. nach Transformation) auf Geldzahlung gerichtet sind.[21] Es spielt schließlich auch keine Rolle, ob der übergeleitete Anspruch ein Haupt- oder ein begleitender Nebenanspruch ist, so dass der Sozialleistungsträger auch bspw. den Anspruch des Erben gegenüber "seinem" Testamentsvollstrecker auf Auskunftserteilung (§ 2218 Abs. 1 BGB i.V.m. § 666 BGB) samt der Ansprüche auf Rechenschaftslegung (Kontrollrechte) auf sich überleiten kann.

Nicht der Überleitung zugänglich (Wortlaut: "Anspruch") sind de lege lata selbstständige Gestaltungsrechte, etwa ein bestehendes Ausschlagungsrecht des Hilfeempfängers (§ 2306 BGB), selbst wenn dadurch liquide Pflichtteilsansprüche entstehen können, die ihrerseits wieder überleitungsfähig sind.

 

Rz. 25

Der "öffentlich-rechtlichen" Überleitung des Anspruchs auf den Träger nachrangiger Sozialleistungen steht nicht entgegen, dass der Anspruch nicht abtretbar ist bzw. er nicht gepfändet oder verpfändet werden kann (vgl. § 93 Abs. 1 S. 4 SGB XII, § 27g Abs. 1 S. 4 BVG im Bereich der Kriegsopferfürsorge,[22] § 203 Abs. 1 S. 4 SGB III a.F. für Leistungen der Arbeitslosenhilfe, nun § 33 Abs. 1 S. 4 SGB II für das Arbeitslosengeld II). Damit kann der Sozialleistungsträger bspw. den (primären oder, nach einer Ausschlagung, sekundär entstehenden) Pflichtteilsanspruch auf sich überleiten, auch wenn er für normale Gläubiger vor Rechtshängigkeit oder vertraglicher Anerkennung nicht pfändbar ist (§ 852 Abs. 1 ZPO), ebenso – in gleichem Maße praxisbedeutsam – den Rückforderungsanspruch bei späterer Verarmung des Schenkers gem. § 528 BGB (§ 852 Abs. 2, 1. Alt. ZPO) und den Zugewinnausgleichsanspruch (§ 852 Abs. 2, 2. Alt. ZPO), die zuvor ebenfalls von einem privaten Gläubiger (oder auch Insolvenzverwalter: § 36 InsO) nicht verwertet werden können. Die Unpfändbarkeit steht zwar der rechtsgeschäftlichen Abtretung entgegen (§ 400 BGB), nicht aber der Überleitung durch Hoheitsakt des Sozialleistungsträgers (bzw. kraft Gesetzes im Bereich des § 33 SGB II).

 

Rz. 26

Alle nachrangigen Sozialleistungsarten (mit Ausnahme des Rehabilitationsgesetzes: § 141 Abs. 1 S. 2 SGB IX) sehen ferner vor, dass zivilrechtliche Unterhaltsansprüche des Hilfeempfängers gegen Verwandte ersten Grades oder geschiedene Ehegatten übergehen können (§ 94 SGB XII für die Sozialhilfe, § 27h BVG hinsichtlich der Kriegsopferfürsorge, § 33 Abs. 2 SGB II i.R.d. Grundsicherung für Arbeitsuchende, nunmehr Bürgergeld).[23] Als lex specialis zur allgemeinen Anspruchsüberleitung (z.B. des § 93 SGB XII, vgl. Rdn 24) erfolgt dieser Übergang stets kraft Gesetzes, erfordert also keinen (getrennt angreifbaren) Überleitungsakt.

 

Rz. 27

Mit Wirkung ab 1.1.2020 begrenzt § 94 Abs. 1a SGB XII als Bestandteil des Angehörigenentlastungsgesetzes[24] den gesetzlichen Übergang von Unterhaltsansprüchen des Leistungsberechtigten gegenüber seinen Kindern (also in Bezug auf den Elternunterhalt) oder gegenüber den Eltern auf diejenigen Kinder bzw. Elternteile, deren jährliches Gesamteinkommen i.S.d. § 16 SGB IV mehr als 100.000 EUR (Jahreseinkommensgrenze) beträgt. Ist – wie in wohl ca. 94 % der vor 2020 relevanten Fälle ...

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