Rz. 177

Die vorvertraglichen Anzeigepflichten schützen den Versicherer bei der Risikobewertung, bevor er sich mit einem (D&O-)Vertrag bindet. Die Materie der D&O-Versicherung an sich, die komplexere Bewertungslage gegenüber anderen Versicherungen, die Schwierigkeiten bei der Erkennung von Lebenssachverhalten in Konzernen, aus denen Pflichtverletzungen entspringen können, alles dies zeigt die besondere Relevanz, aus der ein erheblicher Informationsbedarf für den Versicherer erwächst. D&O-Versicherer übermitteln potentiellen Versicherungsnehmern daher schon seit geraumer Zeit schriftliche Fragebögen, mit denen Umstandswissen abgefragt wird. Das gesetzliche Korrelat zu diesem Informationsbedürfnis ist seit dem 1.1.2008 nunmehr in § 19 VVG geregelt. Die Versicherungsnehmerin hat danach bis zur Abgabe ihrer Vertragserklärung die ihr bekannten Gefahrumstände, die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der Versicherer in Textform (vgl. dazu auch § 126b BGB: lesbar aber ggf. unterschriftslos) gefragt hat, dem Versicherer anzuzeigen.[467]

[467] Der Raum für "spontane Anzeigepflichtverletzungen" (vgl. dazu: Römer/Langheid/Langheid, 2. Aufl., §§ 16, 17 Rn 11) ist entfallen, weshalb die sensible Formulierung der Fragebögen des "Underwritings" wichtiger denn je wird in Bezug auf Umstandswissen, vgl. auch Langheid/Goergen, VP 2007, 161, 162.

1. Adressat der Anzeigepflichten

 

Rz. 178

Adressat ist nach Ziff. 7.1.1. und § 19 VVG (vgl. auch Ziff. 23 Abs. 1 AHB 2010) zunächst einmal die Versicherungsnehmerin. Diese muss sich aber das Wissen verschiedener Personen zurechnen lassen. Dies gilt – entsprechend den allgemeinen Regeln im Zivilrecht – zunächst für die Kenntnis der Wissensvertreter.[468] Bei der Beantwortung der Fragen muss die Versicherungsnehmerin also uneingeschränkt auf das Wissen der mit der Beantwortung betrauten Mitarbeiter zurückgreifen.[469]

Ferner heißt es jetzt in Ziff. 7.1.1 (Abs. 2) des Modells (seit 2007): Wird der Vertrag von einem Vertreter der Versicherungsnehmerin geschlossen und kennt dieser den gefahrerheblichen Umstand, muss sich die Versicherungsnehmerin so behandeln lassen, als habe sie selbst davon Kenntnis gehabt oder arglistig verschwiegen. Damit sind (als gesetzliche oder vertragliche) Vertreter wohl auch bereits weite Teile der möglichen versicherten Personen erfasst. Lange war fraglich, ob Adressat der Anzeigepflichten auch versicherte Personen sein konnten: Nach der gesetzlichen Regelung ist ausschließlich die Versicherungsnehmerin Adressat der vorvertraglichen Anzeigepflicht. Dies ergibt sich deutlich aus dem Wortlaut des § 19 VVG, folgt aber auch aus dem Wortlaut der §§ 43 ff. VVG.[470] An keiner Stelle wird in § 47 VVG bestimmt, dass die Versicherten in einer Fremdversicherung neben der Versicherungsnehmerin aus den diese treffenden Anzeigepflichten mitverpflichtet sein könnten. Im Gegenteil: Der Wortlaut des § 47 Abs. 1 VVG stellt "… auch …" auf die Kenntnis und das Verhalten des Versicherten ab, macht diesen aber nicht – dem Wortlaut nach jedenfalls nicht – zum Adressaten der Anzeigepflicht.[471] Schon die Existenz der Regelungen der §§ 156, 193 Abs. 2 sowie 179 Abs. 3 VVG zeigt, dass auch der Gesetzgeber keineswegs unbedacht den Wortlaut des § 47 VVG – wie getan – gewählt hat. Auch der Zweck der Vorschrift, der darin besteht zu verhindern, dass der Versicherer Nachteile aus der "Rollenaufspaltung" auf Seiten der Versicherungsnehmerin hat, spricht dafür, den Wortlaut ernst zu nehmen und die Regelung nicht extensiv auszulegen.[472] Soweit demzufolge bereits vor dem Inkrafttreten des neuen VVG in der Literatur bisweilen die Auffassung zur Altfassung vertreten wurde, § 79 VVG a.F. (jetzt § 47) bekunde eine eigene vorvertragliche Anzeigepflicht der Versicherten, fand dies – im Gesetz selbst – schon damals keinen haltbaren Ansatz.[473] Aber auch wenn nach der gesetzlichen Regelung ausschließlich die versicherungsnehmende Gesellschaft damit Adressat der vorvertraglichen Anzeigepflicht bleibt, stellt sich die Folgefrage, ob und inwieweit nicht durch Vereinbarungen insofern Abweichendes geregelt werden kann. Zunächst ist festzustellen, dass wegen der Existenz des § 32 VVG durch vertragliche Vereinbarungen durchaus von den gesetzlichen Vorschriften über die vorvertragliche Anzeigepflicht abgewichen werden kann, sofern die Abweichung sich nicht zum Nachteil der Versicherungsnehmerin oder der Versicherten auswirkt. Die Regelung des § 47 VVG ist ebenfalls abdingbar.[474] Aufgrund der potenziell bestehenden Möglichkeit der Abdingbarkeit und des Umstandes, dass es sich bei § 47 VVG – wie in der Literatur zum Teil zu Recht angenommen wird[475] – um eine Zurechnungsnorm handelt, die keine eigenen Pflichten der Versicherten begründet, kann durchaus auch pflichtbegründend eine vertragliche Bestimmung in den Policen getroffen werden. Soweit im Modell von 2005 in der Ziff. 11.1 formuliert war, dass die "Anzeigepflichten und Obliegenheiten der Versicherungsnehmerin ...

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