Rz. 7

Die Reformgesetze wurden begleitet von verschiedenen Unternehmenskrisen[34] – nicht zuletzt der Bankenkrise[35] – und auch durch eine Reihe von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und solcher der Instanzgerichte, so unter anderem mit einer Leitentscheidung zum Organisationsverschulden,[36] zur Insolvenzverschleppungshaftung[37] und – insbesondere was die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen durch den Aufsichtsrat angeht – die inzwischen berühmte ARAG-Garmenbeck-Entscheidung aus dem Jahr 1997.[38] Wegen der Bedeutung dieser Entscheidung seien nachfolgend die Leitsätze des Urteils abgedruckt:

1. Die Aufsichtsratsmitglieder haben aufgrund ihrer Organstellung und der sich daraus erge­benden gemeinsamen Verantwortung[39] für die Rechtmäßigkeit der von ihnen gefassten Beschlüsse ein Rechtsschutzinteresse daran, die Nichtigkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen auf dem Klagewege feststellen zu lassen.
2. Der Aufsichtsrat hat aufgrund seiner Aufgabe, die Tätigkeit des Vorstands zu überwachen und zu kontrollieren, die Pflicht, das Bestehen von Schadenersatzansprüchen der AG gegenüber Vorstandsmitgliedern eigenverantwortlich zu prüfen. Dabei hat er zu berücksichtigen, dass dem Vorstand für die Leitung der Geschäfte der AG ein weiter Handlungsspielraum zugebilligt werden muss, ohne den unternehmerisches Handeln schlechterdings nicht denkbar ist. Die nach § 147 I AktG bestehende Möglichkeit der Hauptversammlung, eine Rechtsverfolgung zu beschließen, berührt diese Pflicht nicht.
3. Kommt der Aufsichtsrat zu dem Ergebnis, dass sich der Vorstand schadenersatzpflichtig gemacht hat, muss er aufgrund einer sorgfältigen und sachgerecht durchzuführenden Risikoanalyse abschätzen, ob und in welchem Umfang die gerichtliche Geltendmachung zu einem Ausgleich des entstandenen Schadens führt. Gewissheit, dass die Schadenersatzklage zum Erfolg führen wird, kann nicht verlangt werden.
4. Stehen der AG nach dem Ergebnis dieser Prüfung durchsetzbare Schadenersatzansprüche zu, hat der Aufsichtsrat diese Ansprüche grundsätzlich zu verfolgen. Davon darf er nur dann ausnahmsweise absehen, wenn gewichtige Gründe des Gesellschaftswohls dagegen sprechen und diese Umstände die Gründe, die für eine Rechtsverfolgung sprechen, überwiegen oder ihnen zumindest gleichwertig sind. Anderen außerhalb des Unternehmenswohles liegenden, die Vorstandsmitglieder persönlich betreffenden Gesichtspunkten darf der Aufsichtsrat nur in Ausnahmefällen Raum geben.
 

Rz. 8

Die Reformen des Gesetzgebers und auch die inzwischen zur Haftung nach §§ 93, 116 AktG und/oder zu § 43 GmbHG und/oder zu § 39 GenG ergangene Rechtsprechung[40] haben damit das Bedürfnis nach Deckung deutlich verschärft. Fälle, in denen eine Gesellschaft Scha­denersatzansprüche (sogar im mehrstelligen Millionenbereich) gegen ein oder gar mehrere ­Organmitglieder als Gesamtschuldner geltend macht, sind – wie Experten aus der Versicherungswirtschaft zeigen[41] – ganz erheblich gestiegen. Die Nachfrage nach Managerhaftpflichtversicherungen steigt. Nach überwiegenden Angaben im Schrifttum haben die größten ­Unternehmen in Deutschland inzwischen durchweg D&O-Policen abgeschlossen. Das Prämienaufkommen soll sich innerhalb weniger Jahre allein in Deutschland von 5 Mio.EUR auf heute mehr als 300 Mio. EUR vervielfacht haben.[42] Die großen deutschen Wirtschaftszeitungen publizierten Zahlen, dass für das Geschäftsjahr 2001 die Schätzung bei 50 Mio. EUR, für 2002 bei 115 Mio. EUR gelegen habe.[43] Im Jahr 2000 sollen bereits alle "Top-100-Unternehmen" eine D&O Police abgeschlossen haben.[44] Statistisch gesicherte Erkenntnisse aber fehlen.

Großverfahren (Holzmann,[45] EM.TV,[46] Refugium, Informatec,[47] Lufthansa,[48] AHBR,[49] Mannesmann, Daimler Chrysler,[50] VW,[51] West LB, "Kinowelt", Comroad,[52] ThyssenKrupp, Siemens,[53] Unikredit,[54] MAN und Porsche,[55] Deutsche Bank,[56] HypoVereinsbank, VW[57] wurden und werden öffentlich diskutiert.[58]

 

Rz. 9

 

Fall – Mannesmann

Der BGH hob die Freisprüche im Mannesmann-Verfahren mit Urt. v. 21.12.2005 auf. Zur Begründung hat der 3. Strafsenat ausgeführt, dass die Mitglieder des Aufsichtsrates die Pflicht hätten, sich auch bei Entscheidungen über die Bezüge von Vorstandsmitgliedern ausschließlich am Unternehmensinteresse zu orientieren. Diese Vermögensbetreuungspflicht hätten die seinerzeitigen Mitglieder des Aufsichtsratsausschusses der Mannesmann AG verletzt, weil die Bewilligungen der Sonderzahlungen in Millionenhöhe der AG selbst kaum Vorteile gebracht hätten und die honorierten Leistungen bereits durch die dienstvertraglichen Vergütungen abgegolten gewesen seien (BGH-Urt. v. 21.12.2005, Az. 3 StR 470/04). Demgegenüber hatte das LG Düsseldorf – nicht zu Unrecht – mit Urt. v. 22.7.2004 u.a. die früheren Aufsichtsratsmitglieder der damaligen Mannesmann AG, Funk, Ackermann und Zwickel, noch vom Vorwurf der Untreue i.S.d. § 266 StGB und den früheren Vorstand Esser vom Vorwurf der Beihilfe zur Untreue freigesprochen.[59] Am 21.12.2005 hob der Bundesgerichtshof...

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