Winterkorn einigt sich mit VW - Strafverfahren startet im Herbst

Lange war fraglich, ob die gegen den früheren VW-Chef Martin Winterkorn erhobene Anklage wegen der abgasmanipulierten Diesel überhaupt zugelassen wird. Nun soll das Betrugs-Strafverfahren im September vor dem LG Braunschweig starten. Mit VW selbst hat Winterkorn sich auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 10-11 Mio. Euro geeinigt. VW hatte ursprünglich 1 Milliarde gefordert.

Bisher ca. 33 Milliarden Euro Schaden für VW

Aufgeflogen war der Dieselskandal im September 2015. Die US-Umweltbehörde EPA hatte aufgedeckt, dass VW mittels einer Software die Abgaswerte von Dieselfahrzeugen auf dem Prüfstand so manipuliert hat, dass diese die Prüfstandsituation erkannte und dort für die Einhaltung der vorgeschriebenen Stickoxid-Grenzwerte sorgte, während diese im normalen Straßenverkehr deutlich überschritten wurden.

Noch im Jahr 2015 musste Winterkorn deshalb als Vorstandsvorsitzender zurücktreten. Die Affäre hat den Konzern bisher ca. 33 Milliarden Euro an Schadenersatzzahlungen und Strafzahlungen, vor allem in den USA, gekostet. Prozesse gegen VW sowohl von Kunden als auch von Anlegern sind noch in ganz Europa aber auch darüber hinaus in hoher Zahl anhängig.

Einigung ist Erfolg für Winterkorn

Der Vorstand von VW hat sich deshalb schon vor Jahren auch unter Druck des Aufsichtsrats dazu entschlossen, zumindest einen Teil des Schadens vom ehemaligen Konzernchef ersetzt zu verlangen. Dies konnte angesichts des gigantischen Milliardenschadens selbst unter Berücksichtigung des ansehnlichen Vermögens des ehemaligen Konzernchefs aber nur ein symbolischer Betrag sein. Nach einer Meldung diverser Medien ist es für den ehemaligen Konzernchef nun mehr als glimpflich ausgegangen. Die Einigung soll auf eine Schadenersatzsumme zwischen 10 und 11 Millionen Euro lauten, angesichts des letzten Jahreseinkommens von Winterkorn als Konzernchef in Höhe von ca. 17 Millionen Euro eine mehr als moderate Summe.

Vorwurf der Verletzung aktienrechtlicher Informationspflichten

Diese Beurteilung gilt umso mehr, als VW ursprünglich nach einer Meldung von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung mehr als 1 Milliarde Euro Entschädigung von Winterkorn gefordert haben soll. VW hatte argumentiert, wäre Winterkorn als Konzernchef sofort nach Kenntnis des Abgasskandals tätig geworden, hätte er dem Konzern mehr eine Milliardensumme an Bußgeld- und Strafzahlungen ersparen können. Als Konzernchef habe Winterkorn seine Aufklärungspflichten verletzt und dadurch dem Konzern hohen Schaden zugefügt.

VW fordert Schadenersatz von mehreren Ex-Managern

Eine solche Milliardensumme hätte selbst Winterkorn aus seinem Privatvermögen nicht bezahlen können, den jetzt gefundenen Einigungsbetrag dagegen wohl ohne größere Probleme. Neben Winterkorn nimmt der VW-Konzern auch den Ex-Audi-Chef Rupert Stadler sowie weitere frühere Konzernmanager auf Schadenersatz in Anspruch.

D&O-Versicherung soll dreistelligen Millionenbetrag zuschießen

Das endgültige Zustandekommen der Einigung hängt wohl noch von den Verhandlungen mit der D&O-Versicherern ab, also der Managerhaftpflichtversicherung - in diesem Fall ein Konsortium unter Führung der Schweizer Zürich-Versicherung - des ehemaligen Konzernchefs ab. Diese soll auf die Entschädigungszahlung Winterkorns laut ARD nochmals einen Betrag von 200-300 Mio Euro drauflegen. Auch diese Summe ist angesichts des entstandenen Milliardenschadens vergleichsweise niedrig. Der Grund liegt darin, dass D&O (Directors und Officers)-Versicherungen nur bei fahrlässiger Pflichtverletzung greifen, nicht dagegen bei Vorsatz. Würde Winterkorn in dem bevorstehenden Strafverfahren wegen vorsätzlichen Betrugs verurteilt, so wäre die Versicherung möglicherweise aus der Haftung heraus.

Strafverfahren beginnt im September

Zu Ende ist die Sache damit für Winterkorn allerdings nur in haftungsrechtlicher Hinsicht gegenüber VW. Das dicke Ende könnte noch im anhängigen Strafverfahren auf Winterkorn warten. Im September soll das Verfahren wegen Betrugs vor dem LG Braunschweig starten. Das LG hat nach langwierigen Unstimmigkeiten mit der Staatsanwaltschaft Braunschweig die Anklage gegen Winterkorn nicht in der ursprünglich von der StA beabsichtigten Form, sondern nur mit deutlichen Änderungen - teilweise zugunsten teilweise zu Ungunsten des Angeklagten - zugelassen.

Zulassungsbeschluss weicht deutlich von Anklage der StA gegen Winterkorn ab

Den insbesondere auf die Belastung von VW mit Schadenersatzzahlungen gestützten Vorwurf der Untreue hat das Gericht nach umfangreichen eigenen Ermittlungen und Beweiserhebungen im Zwischenverfahren nicht zugelassen.

Zugelassen wurde die Anklage der StA gegen Winterkorn aber wegen des Straftatbestandes des gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs. Dies bedeutet eine deutliche Verschärfung gegenüber der ursprünglichen Anklageschrift. Die StA hatte lediglich wegen besonders schweren Betrugs angeklagt. Das Gericht sieht demgegenüber eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Verurteilung Winterkorns wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs.

Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren möglich

Die vom Gericht aufgrund eigener Ermittlungen vorgenommene Modifizierung der Anklage bedeutet im Strafrahmen eine empfindliche Aufstockung. Während der besonders schwere Betrug lediglich mit einer Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten Haft bedroht ist, beinhaltet der Zulassungsbeschluss der Kammer den Vorwurf eines Verbrechens mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr und einer maximalen Freiheitsstrafe von zehn Jahren.

Gegen vier weitere Angeklagte hat das LG ebenfalls die Anklage wegen der gleichen Vorwürfe, dort zum Teil aber in Tateinheit mit Steuerhinterziehung und strafbarer Werbung zugelassen.

Vorwurf der StA: VW hat Anleger zu spät informiert

Den Vorwurf der Marktmanipulation hatte die StA damit begründet, dass der damalige VW-Chef die Anleger im Diesel-Skandal zu spät informiert hätte. Die Verfahren wegen Marktmanipulation gegen die dortigen Mitangeschuldigten, den heutigen Aufsichtsratsvorsitzenden Hans Dieter Pötsch sowie gegen den Vorstandsvorsitzenden Dr. Herbert Diess waren bereits im Mai 2020 gegen Zahlung von jeweils 4,5 Millionen Euro an die Staatskasse gemäß § 153 a StPO eingestellt worden. In beiden Fällen hat der VW-Konzern die Strafzahlungen an die Justizkasse überwiesen.

Strafverfahren wegen Marktmanipulation eingestellt

Auch das Strafverfahren gegen Winterkorn wegen Marktmanipulation hat das LG eingestellt. Die Einstellung eines Strafverfahrens kommt gemäß § 154 Abs. 2 StPO dann in Betracht, wenn die zu erwartende Strafe im Verhältnis zur Straferwartung in einem anderweitigen Strafverfahren gegen den gleichen Beschuldigten so gering ist, dass sie nicht beträchtlich ins Gewicht fällt. Diese Voraussetzung hat das LG in dem gegen Martin Winterkorn wegen des Vorwurfs der Marktmanipulation geführten Strafverfahren bejaht (LG Braunschweig, Beschluss v. 14.1.2021, 16 KLs 75/19).

Gemäß § 20 a WpHG a.F., § 119 WpHG hätte Winterkorn wegen dieses Vorwurfs eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren zu erwarten, während der Strafrahmen in dem Parallelverfahren wegen gewerbsmäßigen und bandenmäßigen Betrugs gemäß § 263 Abs. 5 StGB von einem Jahr Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe reicht.

Dieselkäufer millionenfach getäuscht

Im Betrugsverfahren wirft die StA dem Angeklagten vor, Autokäufer über das Vorhandensein illegaler Abschalteinrichtungen in VW-Fahrzeugen getäuscht und damit in großer Zahl betrogen zu haben. Der Vorwurf lautet nach dem Zulassungsbeschluss des LG nun auf banden- und gewerbsmäßigen Betrug. VW selbst hatte zugegeben, durch Abschaltvorrichtungen Diesel-Abgaswerte millionenfach in Dieselfahrzeugen manipuliert zu haben.

Winterkorn darf Bonuszahlungen wohl behalten

Die seitens der Strafkammer vorgenommenen Modifikationen der Anklage der StA sind ungewöhnlich und deuten auf erhebliche atmosphärische Störungen und Differenzen zwischen StA und Gericht im Vorverfahren hin. Diese Vermutung wird dadurch erhärtet, dass die Richter der von der StA angestrebten Einziehung der von dem Angeklagten während seiner Vorstandstätigkeit bei VW erlangten Bonuszahlungen eine Absage erteilt haben.

Eine Einziehung des Wertes dieser Bonuszahlungen ist nach einem Hinweis des Gerichts deshalb voraussichtlich nicht anzuordnen, weil die von Winterkorn und den übrigen Angeklagten möglicherweise begangenen Straftaten nicht den Angeklagten selbst, sondern zunächst unmittelbar nur VW Vorteile erbracht hätten, auch wenn diese später in einen Schaden umgeschlagen seien.

Was bisher geschah:

Im September 2015 wurden die Ermittlungen der US Umweltbehörde EPA gegen VW und damit der Dieselskandal öffentlich. Bis zu diesem Zeitpunkt will Winterkorn von dem Einbau der Schummel-Software in Dieselmotoren nichts gewusst haben. Dies hat er am 19.1.2017 vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags beteuert.

StA Braunschweig glaubt Winterkorn nicht

Genau diese Beteuerung der späten Kenntnis nimmt die StA Braunschweig dem ehemaligen VW-Chef nicht ab. Nach deren Erkenntnissen hat Winterkorn spätestens im Mai 2014, also 16 Monate früher, von der Manipulationssoftware Kenntnis erhalten.

Zu diesem Zeitpunkt befand sich eine schriftliche Information in Winterkorns „Morgenpost“, in der von einer „Defeat Device“, einer Software zur Abschaltung der Abgasreinigung im Normalbetrieb und von Ermittlungen der US- Strafverfolgungsbehörden wegen dieser Software die Rede war.

Wie die Tagesschau der ARD am 02.05.2019 meldete hatte der Leiter des VW Ausschusses für Produktsicherheit, Bernd Gottweis, den damaligen VW-Chef darüber informiert, dass die US-Behörden nach einer illegalen Software suchen.

Winterkorn selbst beteuert, diese Depeche nur angelesen und dem Inhalt keine weitere Bedeutung beigemessen zu haben.

StA wirft Winterkorn Verstoß gegen seine Garantenpflicht vor

Die StA Braunschweig glaubt dem ehemaligen Automanager auch diese Einlassung nicht und begründet damit den Vorwurf,

  • Winterkorn habe es über einen Zeitraum von 16 Monaten unterlassen,
  • effektive Maßnahmen, die keinen Aufschub duldeten, gegen die Betrugssoftware in die Wege zu leiten.
  • Er sei gegenüber den Kunden und Behörden sowie gegenüber dem Konzern selbst als Chef „Garant“ für die Abwendung des drohenden Schadens für Kunden und für den Konzern gewesen.

Aussage eines Hauptkronzeugen nicht widerspruchsfrei

Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 02.05.2019 ist die Begründung der StA für diese frühe Kenntnis Winterkorns durchaus angreifbar.

  • Der Leiter des Ausschusses für Produktsicherheit Gottweis selbst hat nach dem Bericht der Zeitung nämlich an anderer Stelle behauptet, er habe über den Einbau einer Betrugssoftware zum damaligen Zeitpunkt nichts gewusst, sondern erst im Jahr 2015 davon erfahren.
  • Die Aussage des Leiters des VW-Ausschusses für Produktsicherheit erscheint insofern erklärungsbedürftig, denn angesichts seiner Depesche will Gottweis ja zumindest Kenntnis von dem Verdacht der US-Staatsanwälte gehabt haben.
  • Die bloße Kenntnis von einem Verdacht der US-Staatsanwälte bedeutet aber auch für Winterkorn, dass er im Zeitpunkt Mai 2014 zumindest keine positive Kenntnis von dem Einbau einer Betrugssoftware gehabt haben muss.

Aussagen der weiteren Kronzeugen nicht immer kongruent

Wie die Tagesschau am 02.05.2019 berichtet, sagt ein weiterer Kronzeuge, ein führender VW-Ingenieur aus, im Mai 2015 gemeinsam mit einem weiteren Techniker mit Winterkorn in dessen Büro offen über den Abgasbetrug gesprochen zu haben.

  • Aber auch hier ist die Aussage des Kronzeugen mit einer Schwäche behaftet. Der andere Techniker kann sich einen solchen Termin nämlich nicht erinnern
  • Die Süddeutsche sieht ein grundsätzliches Problem der Staatsanwaltschaft darin, dass die Zeugen selbst zu den Beschuldigten gehören und ein Interesse daran haben, ihre eigenen Anteile klein zu reden und dazu womöglich den damaligen Chef zu belasten.

Eindeutige Kenntnis von der Betrugssoftware erst ab Ende Juli 2015?

Einig sind sich die Zeugen nach diversen Medienberichten jedoch darin, dass am 27.07.2015 in Wolfsburg ein sogenannter Schadentisch stattgefunden hat. Hierbei soll Winterkorn ausdrücklich über die Betrugssoftware informiert worden sein. Spätestens mit diesem Zeitpunkt sind die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft nach Einschätzung von Beobachtern damit besser belegt.

Die Staatsanwaltschaft sieht Verschleierungsmaßnahmen

Die StA wirft Winterkorn darüber hinaus vor, aktiv Maßnahmen zur Verschleierung der Abgasmanipulation eingeleitet zu haben.

  • Der Konzern habe mit seinem Wissen im November 2014 ein Softwareupdate durchgeführt,
  • das die Abgassituation nicht verbessert,
  • sondern ausschließlich dazu gedient habe, die Hintergründe für die hohen Schadstoffwerte der Fahrzeuge im Normalbetrieb zu verschleiern.
  • Allein dieses nutzlose Update habe den Konzern 23 Millionen Euro gekostet.

Betrug gegenüber den Käufern?

Den Betrugsvorwurf begründen die Staatsanwälte unter anderem damit, dass Winterkorn und die übrigen Angeklagten kraft ihres überlegenen Wissens Käufer über die Zulassungsfähigkeit der manipulierten Dieselfahrzeuge getäuscht hätten. VW-Fahrzeuge seien als besonders schadstoffarm und umweltfreundlich beworben worden. Tatsächlich habe der gutgläubige Käufer ein Fahrzeug erhalten, das deutlich weniger wert gewesen sei als die nach dem jeweiligen Kaufvertrag zu erwartende Leistung.

VW Logo Airbag

Der harte Weg zu mehr Compliance

Obwohl Winterkorn nicht mehr VW-Chef ist, geht im Konzern die Angst um, der Prozess in Braunschweig könne im Herbst wieder zu unliebsamen Schlagzeilen für den Konzern führen. Könnte der Prozess wegen gesundheitlicher Probleme Winterkorns nicht durchgeführt werden- was nicht auszuschließen ist -, so wäre dies dem Konzern wahrscheinlich nicht ganz unlieb. Der mit einem Prozess verbundene Kontrast zu der vom aktuellen Vorstandschef Herbert Diess verkündeten neuen Konzernethik könnte größer nicht sein.

Ehrlicher, offener, wahrhaftiger, kurz: anständiger

soll VW unter neuer Führung VW werden. Diess befasst sich zur Zeit u.a. mit dem geplanten VW-Testlabor für grünen Strom und E-Autos in Griechenland in der Südägäis.

Hintergrund:

Vorstände und Aufsichtsräte haften der Gesellschaft gegenüber unbeschränkt und persönlich mit ihrem gesamten Vermögen, wenn sie die ihnen als Gesellschaftsorgane obliegenden Pflichten verletzen (§§ 93 Abs. 2 Satz 1, 116 AktG).

Die Vorstandsmitglieder haben bei ihrer Geschäftsführung "die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters" einzuhalten (§ 93 Abs. 1 Satz 1 AktG). Maßstab ist der pflichtbewusste, selbstständig tätige Leiter eines vergleichbaren Unternehmens, der nicht mit eigenen Mitteln wirtschaftet und daher wie ein Treuhänder fremden Vermögensinteressen verpflichtet ist. Der Vorstand hat daher insb. dafür Sorge zu tragen, dass

  • die AG sich gegenüber Dritten rechtmäßig verhält,
  • die innere Organisation der AG Gesetz und Satzung entspricht und
  • die AG unter Beachtung der Regeln einer sorgfältigen Unternehmensleitung geführt wird (z. B. fortlaufend eine Unternehmensplanung erstellt, Risk-Management-Systeme eingerichtet, Ansprüche der AG verfolgt werden etc.).

Aus: Deutsches Anwalt Office Premium

Schlagworte zum Thema:  Betrug, Compliance