Rz. 126

Erstmals hat sich ein deutsches Obergericht, das OLG Frankfurt am Main,[359] in einer Grundsatzentscheidung vom 9.6.2011[360] mit der Wirksamkeit der sog. Kostenanrechnungsklausel in einem konkreten D&O-Versicherungsvertrag befasst. Im Jahr 2001 hatte die klagende Gesellschaft vier ehemalige Organmitglieder in einem Haftpflichtprozess – wegen Darlehensgewährung an eine GmbH – auf Schadenersatz in Anspruch genommen. Das LG München I hatte die Organmitglieder als Gesamtschuldner zur Zahlung von rund 3,6 Mio. EUR verurteilt. Die Klägerin und ihre Muttergesellschaft hatten bei der Beklagten eine D&O-Versicherung mit Innenverhältnisdeckung abgeschlossen. Eine "C-" und eine "F-Police" beinhalteten Versicherungsschutz für gegenwärtige, frühere oder zukünftige Mitglieder der Organe der jeweiligen Versicherungsnehmerinnen und ihrer Tochterunternehmen. In der "C-Police" betrug die Versicherungssumme zunächst 3 Mio., später 5 Mio. DM, in der "F-Police" 5 Mio. DM. Noch während des Haftpflichtprozesses wurde die beklagte D&O-Versicherung auf Gewährung von Abwehr-Deckungsschutz für den Haftpflichtprozess in Anspruch genommen.

Vor dem LG Frankfurt am Main hat die Klägerin dabei weitgehend obsiegt. Insbesondere durfte der Versicherer eine "Anrechnung" seiner bereits verauslagten Abwehrkosten auf die Versicherungssumme nicht vornehmen. Der D&O-Versicherungsvertrag enthielt eine Kostenanrechnungsklausel, wonach "in der Versicherungssumme unter anderem Anwalts-, Sachverständigen-, Zeugen- und Gerichtskosten enthalten sind."

 

Rz. 127

Der 7. Zivilsenat des OLG Frankfurt am Main entschied, dass der Anspruch der Klägerin in voller Höhe bestehe, weil die von der Beklagten aufgewendeten Abwehrkosten nicht hätten abgezogen werden dürfen. Zur Begründung führte das OLG zwei Gründe an: Zum einen verstoße eine entsprechende Klausel, wonach in der Versicherungssumme unter anderem Anwalts-, Sachverständigen-, Zeugen- und Gerichtskosten enthalten sind, gegen das Transparenzgebot und sei ­daher nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam. Der zitierten Aufzählung könne die Versicherungsnehmerin bereits nicht entnehmen, in welchen Zusammenhängen die anzurechnenden Kosten entstehen können, ob beispielsweise auch in rechtlichen Auseinandersetzungen des Versicherers mit der Versicherungsnehmerin oder mit Versicherten. Darüber hinaus vermöge die Versicherungsnehmerin die Höhe der anzurechnenden Kosten nicht abzuschätzen. Wollte sie Versicherungsleistungen einklagen, müsste sie sich daher (stets) einem "unnötigen Kostenrisiko aussetzen". Zudem widerspreche jedenfalls eine Anrechnung auf die Versicherungssumme derjenigen Anwalts-, Sachverständigen-, Zeugen- und Gerichtskosten, die der Versicherer selbst veranlasst habe, dem (angeblichen) Leitbild des § 150 Abs. 2 VVG a.F. Dies sei mit den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen werde, nicht zu vereinbaren. Daher liege zudem eine unangemessene Benachteiligung der Versicherungsnehmer vor, so dass die Klausel nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGB bzw. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam sei.

Explizit berief sich der Senat dabei auf die Ansicht von Säcker.[361] Der 7. Zivilsenat des OLG Frankfurt am Main hatte die Revision nicht zugelassen. Die Nichtzulassungsbeschwerde war beim BGH anhängig.[362] Der Hessischen Landesrechtsprechungsdatenbank ist aber zu entnehmen, dass die Revision zwischenzeitlich zurückgenommen wurde,[363] so dass die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main inzwischen rechtskräftig ist.

Unter Umständen wird die Entscheidung eventuell als Sonderfall gesehen werden müssen, weil die Deckungssummen an sich in Höhe von rund 3 Mio. DM (dies entspricht rund 1,5 Mio. EUR) äußerst "niedrig bemessen" waren. Zwar spricht das OLG Frankfurt am Main diese Thematik nicht an, doch wäre – ohne, dass das OLG sich inhaltlich damit auseinander gesetzt hätte – möglicherweise ein Bezug zwischen einer Anrechnung und einer sehr hohen Deckungssumme (z.B. 100 Mio. EUR Versicherungssumme) anders zu bewerten als die Konstellation im konkreten Fall.

[359] OLG Frankfurt am Main r+s 2011, 509, 512; vgl. dazu bereits Sieg/Schramm, PHi 2012, 21.
[360] Vgl. zur Vorentscheidung LG Frankfurt am Main, Urt. v. 29.5.2009, Az. 14 O 81/05.
[361] Säcker, VersR 2005, 10, 14.
[362] BGH, Az. IV ZR 126/11.
[363] Www.lareda.hessenrecht.hessen.de (23.1.2014).

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