Rz. 157

Das Nachlassgericht hat von Amts wegen Ermittlungen über die Testierfähigkeit anzustellen, wenn nachträglich Anhaltspunkte für eine Testierunfähigkeit des Erblassers vorliegen, §§ 2229 Abs. 4, 2361 BGB, §§ 353, 26 FamFG.

 

Rz. 158

Die Testierfähigkeit ist ein Unterfall der Geschäftsfähigkeit, gleichwohl aber unabhängig von ihr geregelt. Nach § 2229 Abs. 4 BGB kann ein Testament nicht errichten, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Testierunfähig ist derjenige, dessen Erwägungen und Willensentschlüsse nicht mehr auf einer dem allgemeinen Verkehrsverständnis entsprechenden Würdigung der Außendinge und der Lebensverhältnisse beruhen, sondern durch krankhaftes Empfinden oder krankhafte Vorstellungen und Gedanken derart beeinflusst werden, dass sie tatsächlich nicht mehr frei sind, sondern vielmehr von diesen krankhaften Einwirkungen beherrscht werden. Diese Unfreiheit der Erwägungen und der Willensbildungen braucht nicht darin zutage zu treten, dass der Erblasser sich keine Vorstellung von der Tatsache der Errichtung eines Testaments und von dessen Inhalt oder von der Tragweite seiner letztwilligen Anordnungen, insbesondere von ihrer Auswirkung auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen zu machen vermag, sie kann sich vielmehr darauf beschränken, die Motive für die Errichtung einer letztwilligen Verfügung entscheidend zu beeinflussen. Testierunfähig ist daher auch derjenige, der nicht in der Lage ist, sich über die für und gegen seine letztwillige Verfügung sprechenden Gründe ein klares, von krankhaften Einflüssen nicht gestörtes Urteil zu bilden und nach diesem Urteil frei von Einflüssen etwaiger interessierter Dritter zu handeln.[175] Dabei geht es nicht darum, den Inhalt der letztwilligen Verfügung auf seine Angemessenheit zu beurteilen.

 

Rz. 159

Die Störung der Geistestätigkeit gilt als Ausnahmetatbestand, deshalb wird der Erblasser so lange als testierfähig angesehen, bis nicht das Gegenteil bewiesen ist.[176] Bei nicht behebbaren Zweifeln muss von der Testierfähigkeit ausgegangen werden.[177]

 

Rz. 160

Erforderlich ist regelmäßig die Einholung eines Sachverständigengutachtens eines Psychiaters und nicht nur die Stellungnahme eines praktischen Arztes.[178]

[175] St. Rspr., BGH FamRZ 1958, 127, 128; OLG Rostock, Beschl. v. 5.6.2009 – 3 W 47/09, FamRZ 2009, 2039 = ZErb 2009, 331; BayObLG FamRZ 2006, 68 = ZEV 2005, 345; BayObLGZ 1962, 219, 223; 2004, 237, 240.
[176] Tatsächliche Vermutung für die Testierfähigkeit, vgl. BayObLG NJW-RR 1990, 1419; BayObLG FamRZ 1998, 515.
[177] OLG Frankfurt NJW-RR 1996, 1159.
[178] BGH FamRZ 1984, 1003; OLG Frankfurt NJW-RR 1996, 1159; OLG Hamm OLGZ 92, 409.

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