Rz. 107

Nach § 100 VVG bezieht sich die Haftpflichtversicherung grundsätzlich nur auf während der Versicherungszeit eingetretene Tatsachen.[304] Die überwiegende Mehrheit der auf dem Markt heute angebotenen D&O-Versicherungen sieht von vornherein eine "Rückwärtsversicherung" vor. Zurückhaltender war die Formulierung zur Rückwärtsversicherung noch in den früheren Verbandsempfehlungen (z.B. 2008: "Durch besondere Vereinbarung kann im Falle des Wechsels des Versicherers …") bis einschließlich denen des GDV-Modells 2010, in denen zwar auch eine Rückwärtsversicherung in Ziff. 3.2 vorgesehen war, diese indes aber beschränkt war auf Fälle ­eines Versichererwechsels. Ferner lief diese Rückwärtsversicherung in Ziff. 3.2 – bedingt durch dessen S. 2 – ("… oder hätte kennen müssen") bis zu den Modellbedingungen 2010/2011 weitgehend leer.[305] In Verbindung mit S. 2 und der gewählten Überschrift über Ziff. 3.2 wurde damit dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer mit den bis 2010 empfohlenen Regelungen etwas suggeriert, was für diesen dann gar nicht existent war (§ 305c BGB, ggf. eine "überraschende Klausel"). Staudinger hielt – wie auch andere kritische Stimmen in der Literatur – derartige Klauseln für "aushöhlend" und konkrete Ausgestaltungen der Rückwärtsdeckungen gerade dann für unwirksam, wenn sie auf das "Kennenmüssen" abstellen, weil danach nicht Kenntnis, sondern bereits das "Kennenmüssen" deckungsschädlich sei.[306] Auch Langen/Paul[307] übten im Anschluss an die Entscheidung des OLG München vom 8.5.2009[308] Kritik. Sie waren und sind der Ansicht, die Wertung des OLG München greife hinsichtlich der Annahme einer ausgleichenden Wirkung der konkret vereinbarten Rückwärtsdeckung zu kurz. Nur eine D&O-Versicherung mit "unbegrenzter Rückwärtsdeckung – auch für bereits bekannte Pflichtverletzungen" – würde die für die Versicherten entstehenden Nachteile ausgleichen (Kompensation).

In der Praxis werden Rückwärtsversicherungen weitergehend konkretisiert gegenüber § 2 VVG. Bisweilen sehen derzeit auf dem Markt befindliche Verträge zum Teil auch noch zeitliche Begrenzungen bei der Rückwärtsversicherung vor. Auf dem deutschen Markt werden aber auch heute schon zeitlich unbeschränkte Rückwärtsdeckungen angeboten.[309]

Im Modell 2011 hieß es im Einleitungssatz direkt unter der Überschrift zur damaligen Ziff. 3.2 noch, dass "zusätzlich" auch Versicherungsschutz für Pflichtverletzungen, die vor Beginn dieses Versicherungsvertrages begangen wurden, eingedeckt werden kann. Im Modell 2013 wurde diese Überschrift ersatzlos gestrichen, was begrüßt werden darf. Zudem hat der GDV den Begriff "Rückwärtsversicherung" durch den der Rückwärtsdeckung ersetzt, was keine zusätzlichen Auswirkungen haben dürfte. Nunmehr wird aber deutlich, dass Versicherungsschutz stets auch für Versicherungsfälle aufgrund von vor Vertragsbeginn begangenen Pflichtverletzungen besteht (neue Ziff. 3.1 S. 1), sieht man vom Ausnahmefall in Satz 2 ab.

Nach Ziff. 3.1 S. 2 erstreckt sich die Rückwärtsdeckung nicht auf solche Pflichtverletzungen, die eine versicherte Person, die Versicherungsnehmerin oder eine Tochtergesellschaft bei Abschluss dieses Versicherungsvertrages kannte. Als bekannt gilt eine Pflichtverletzung, wenn sie von der Versicherungsnehmerin, einer Tochtergesellschaft oder versicherten Person als – wenn auch nur möglicherweise – objektiv fehlsam erkannt oder von ihnen als – wenn auch nur bedingt – fehlsam bezeichnet worden ist, auch wenn Schadensersatzansprüche weder erhoben noch angedroht noch befürchtet worden sind. Damit werden insbesondere die in der Literatur geäußerten Kritiken[310] und die vom OLG München angesprochenen Ansätze[311] – zum Teil jedenfalls – beseitigt. Es ist noch einmal ausdrücklich zu erwähnen, dass das Anspruchserhebungsprinzip Vorteile bringt, jedenfalls wenn es so ausgestaltet ist, wie es nunmehr vom Gesamtverband vorgeschlagen wird: Im Vergleich zum "Verstoßprinzip" beinhaltet der D&O-Versicherungsvertrag nunmehr eine unbegrenzte Rückwärtsversicherung für vor Versicherungsbeginn begangene Verstöße – und dies gilt nur dann nicht, wenn die Pflichtverletzungen bekannt waren.

[304] Im VVG wird der Versicherungsfall nicht definiert, weil es – je nach Sparte – unterschiedliche Regelungen dazu geben muss, vgl. Römer/Langheid/Langheid, VVG, § 100 Rn 2.
[305] Ein Kennenmüssen genügt nach § 2 Abs. 2 S. 2 VVG nicht; für den Versicherer ist die Ausdehnung von Vorteil: Er hätte andernfalls die positive Kenntnis des Versicherungsnehmers bzw. der versicherten Person zu beweisen, was ihm kaum gelingen dürfte, Ihlas, Organhaftung und Haftpflichtversicherung, 208.
[306] Staudinger, NZG 2009, 716; ders., in: Karlsruher Forum 2009 – Managerhaftung – Karlsruhe 2010, 41, 69 ff.; ders., VP 2009, 138.
[307] Langen/Paul, BB 2009, 1665.
[308] OLG München r+s 2009, 327 ff.
[309] Plück/Lattwein verweisen hinsichtlich der zeitlich unbegrenzten Rückwärtsdeckung auf die Schwierigkeiten einer adäquaten Risikobewertung, siehe 179.
[310] Vgl. etwa Staudinger, NZG...

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