Rz. 129

Zur Ermittlung der auffälligen Verhaltensweisen des Erblassers kann sich das Nachlassgericht sämtlicher zur Verfügung stehender Beweismittel bedienen.[100] Der Umfang der gebotenen Ermittlung unterliegt dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts.[101]

 

Rz. 130

Erste Auffälligkeiten, die das Nachlassgericht selbstständig überprüfen kann, können sich aus dem eröffneten Testament ergeben: unleserliche Schrift, Verwendung einer auffallend großen Schrift, Schreibmaterial, verwendeter Untergrund, wunderliche Formulierungen etc.

Oftmals werden zum Nachweis auffälliger Verhaltensweisen Einschätzungen und Zusammentreffen von Verwandten und Freunden des Erblassers mit diesem von den Beteiligten vorgetragen, sodass das Nachlassgericht sie als Zeugen vernehmen kann.

 

Rz. 131

Ist die Verfügung von Todes wegen, deren Wirksamkeit angezweifelt wird, von einem Notar beurkundet worden, hilft § 28 BeurkG in aller Regel weiter. Danach hat der Notar Feststellungen zur Geschäfts- bzw. Testierfähigkeit zu treffen. Er muss sich den Gesamteindruck vom Testator nicht nur in einem Vorgespräch verschaffen, sondern auch beim Beurkundungsvorgang selbst, weil beim Vorlesen und Erörtern im Rahmen der Belehrungen nach § 17 BeurkG die Verständnisfähigkeit am besten eingeschätzt werden kann. Stellen sich Zweifel an der Testierfähigkeit des Testators ein, kann der Notar die Beiziehung eines Arztes veranlassen, weil er in der Regel nicht über den medizinischen Sachverstand eines Arztes verfügt.[102] Bleiben weiterhin Zweifel, sind diese in der Urkunde festzuhalten. Kommt er dagegen zum Schluss, dass der Testator nicht testierfähig ist, soll der Notar die Beurkundung der letztwilligen Verfügung nach § 11 Abs. 1 BeurkG ablehnen. Die Feststellungen in der notariellen Urkunde können vom Nachlassgericht im Wege des Freibeweises als Beweismittel verwertet werden.

 

Rz. 132

Allerdings unterliegt der Notar gem. § 18 Abs. 1 S. 1 BNotO der Verschwiegenheit. Da der Erblasser als Auftraggeber im Erbscheinsverfahren nicht mehr lebt, muss die Aufsichtsbehörde, der Präsident des örtlichen Landgerichts, den Notar von seiner Verschwiegenheitspflicht entbinden, § 18 Abs. 1 S. 2 BNotO.

Dazu der BGH:[103]

Zitat

"a) Das Zeugnisverweigerungsrecht des Notars erstreckt sich auf den gesamten Inhalt der notariellen Verhandlung einschließlich der Umstände, die der Notar anläßlich der Verhandlung erfährt; sie müssen ihm nicht besonders anvertraut worden sein."

b) Von dem Zeugnisverweigerungsrecht werden grundsätzlich auch schriftliche Änderungsvorschläge erfaßt, die dem Notar zur Vorbereitung des Beurkundungstermins übersandt wurden; ob sie vor der Beurkundung anderen Urkundsbeteiligten oder ihren anwaltlichen Beratern zugänglich gemacht werden sollten, ist unerheblich.“

 

Rz. 133

Zur Ermittlung des Sachverhalts kann das Nachlassgericht die den Erblasser behandelnden Ärzte, oftmals den Hausarzt, als sachverständige Zeugen gem. § 30 FamFG, § 414 ZPO vernehmen.

Weiter bietet es sich an, die im Rahmen eines etwaigen stationären Aufenthalts des Erblassers und einer etwaigen Weiterbehandlung erhobenen Befunde durch Beiziehung der Krankenakte oder Stellungnahmen der behandelnden Ärzte zum Gegenstand der Ermittlungen zu machen.[104] Dabei kann das Gericht den behandelnden Ärzten als Dritten gem. § 142 ZPO aufgeben, Patientenunterlagen vorzulegen. Der einer entsprechenden Aufforderung vorausgehende Beschluss kann mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden, § 30 FamFG, §§ 142, 387 Abs. 3 ZPO. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gebietet es, allen Verfahrensbeteiligten Einsicht in die übermittelten Krankenakten und ärztlichen Stellungnahmen zu gewähren.[105]

Das Nachlassgericht hat auch dann eine eigenständige Beurteilung des Akteninhalts und der ärztlichen Stellungnahmen vorzunehmen, wenn diese zum Ergebnis kommen, eine Geschäftsunfähigkeit sei mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen.[106] Denn selbst wenn der Erblasser wegen Geistesschwäche zunächst entmündigt war und danach unter Betreuung mit dem Aufgabenkreis der Vermögenssorge stand, kann er als testierfähig angesehen werden, wenn er bspw. lediglich unter einer Lernschwäche gelitten hat.[107]

 

Rz. 134

Es stellt sich für die Beweiserhebung die Frage, wie das dem Arzt nach § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zustehende Zeugnisverweigerungsrecht zu handhaben ist. Umstände, die die Testierfähigkeit betreffen, gehören zur ärztlichen Schweigepflicht und sind dem Arzt auch "anvertraut" i.S.d. § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO.[108] Das bedeutet, dass der Arzt von seiner Schweigepflicht zu entbinden ist, § 385 Abs. 2 ZPO. Gleiches gilt für Notare, Rechtsanwälte, Steuerberater oder Pflegepersonal, weil auch diese einer Schweigepflicht unterliegen.

Da die Schweigepflicht nicht mit dem Tode des Erblassers endet (§ 203 Abs. 4 StGB), hätte der Erblasser den behandelnden Arzt persönlich von der Schweigepflicht entbinden müssen. Denn die Befreiungsbefugnis geht nicht auf die Erben über, weil das Arzt-Patienten-Verhältnis eine höchstpersönliche Angelegenheit darstellt, d...

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