Rz. 141

OLG Brandenburg, Beschluss vom 20.3.2014

Das OLG Brandenburg schloss sich nach eigener Würdigung einem Sachverständigengutachten zur Frage einer Alkoholabhängigkeit an, kam jedoch zu dem Ergebnis, dass diese Erkrankung zu keinen Zweifeln an der Testierfähigkeit des Erblassers führe:[119]

Zitat

"Der sehr sorgfältig argumentierende Sachverständige führt im Ergebnis seiner Auswertung der aus den Jahren 2003 bis 2005 vorliegenden Arztberichte über den Gesundheitszustand des Erblassers aus, vor dem Hintergrund der geschilderten Symptomatik (Menge des zugestandenen Alkoholkonsums, Suchtdruck, depressives Syndrom) könne die Diagnose einer bei dieser vorliegenden Alkoholabhängigkeit entsprechend Ziff. F10.2 des ICD 10 zwar als sicher bestätigt werden. Das Trinken von Alkohol gehe jedoch weder im gelegentlichen Fall mit dadurch bedingten schädlichen körperlichen Folgen noch im chronischen Fall mit darauf beruhender psychischer Abhängigkeit bereits für sich genommen mit einer Einschränkung der Testierfähigkeit einher. Der Alkoholmissbrauch schränke die Kritik-, Urteils- und Handlungsfähigkeit lediglich vorübergehend für die Phasen der akuten Alkoholintoxikation ein und habe keinen überdauernden Einfluss auf die Testierfähigkeit; das Urteilsvermögen und die eigene Lebenssituation seien bei Suchtkranken zwar typischerweise einseitig bewertet (im Sinne von Bagatellisierung, Leugnung und Rationalisierung der Suchterkrankung sowie deren Folgen), jedoch habe auch diese psychisch einseitige Bewertung keine Auswirkungen auf die Testierfähigkeit. Deren Fehlen könne vielmehr erst erwogen werden, wenn und soweit der Erblasser unter einem organischen Psychosyndrom, einem Demenzsyndrom, einer schizophrenen oder Affektpsychose gelitten habe, wobei die psychopathologischen Symptome einen erheblichen Schweregrad erreicht haben müssten (z.B. schwere Orientierungsstörungen, Personenverkennungen, kognitive Störungen, affektive Veränderungen o.Ä., etwa während eines Deliriums). Derartige Erkrankungsbilder zeigten die medizinischen Quellen in der Person des Erblassers indes nicht an."

Der insofern erste psychiatrische Befund aus dem Monat Oktober 2004 erweise sich dabei als mit Blick auf seine zeitliche Nähe zur Testierung besonders relevant. Der Erblasser habe insoweit eine BAK von 1,88 mg/g aufgewiesen und gleichwohl nur eine leichte Entzugssymptomatik gezeigt; die insoweit auffälligen diskreten Störungen der Konzentration und des Kurzzeitgedächtnisses seien vor dem Hintergrund der Alkoholisierung und Entzugsproblematik zu werten und könnten deshalb gerade nicht verallgemeinernd in Zukunft oder Vergangenheit projiziert werden; vielmehr sei davon auszugehen, dass der psychopathologische Befund beim Erblasser ohne Alkoholisierung bzw. Entzugsproblematik besser gewesen wäre, sodass sich hieraus keine hirnorganischen Einschränkungen nachzeichnen ließen.

Nichts anderes weise der Krankenhausbericht vom 29.12.2004 aus, dem eine zwölfwöchige stationäre Behandlung der fortgeschrittenen chronifizierten Alkoholabhängigkeit des Erblassers vorausgegangen sei. Im entsprechenden Aufnahmebefund sei lediglich undifferenziert von leichten Störungen der Konzentration und des Gedächtnisses berichtet worden; beides sei indes nicht weiter reflektiert oder gar untersucht worden, und zwar mutmaßlich deshalb, weil die Veränderungen so leicht ausgeprägt gewesen seien, dass dies für die weitere Diagnostizierung unerheblich gewesen sei. Aus neurologischer Sicht sei vielmehr relevant, dass über die Suchterkrankung hinaus keine wesentlichen psychiatrischen Störungen der Geistestätigkeit des Erblassers bekanntgeworden seien.

Da sich zudem weder aus der Urkunde vom 10.1.2004 Anhaltspunkte für eine akute Störung der Geistestätigkeit herleiten ließen noch der Erblasser über seine Familienstrukturen im Unklaren gewesen sei, ergebe sich zusammenfassend, dass keine Testierunfähigkeit im Zeitpunkt der Testamentserrichtung in Betracht komme.“

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