Rz. 20

Nach der objektiv-subjektiven Theorie können die Mandanten auch bei einem objektiv bestehenden und ihnen bekannten Interessengegensatz ihr Einverständnis mit der gleichzeitigen Wahrnehmung durch den Rechtsanwalt erklären. Wohl unterschiedlich wird dabei beurteilt, ob der Rechtsanwalt über den objektiv bereits bestehenden oder möglicherweise später auftretenden Interessengegensatz zuvor umfassend aufklären oder er lediglich darauf hinweisen muss, dass er unterschiedliche Auffassungen der Parteien nicht durchsetzen wird.[36]

 

Rz. 21

Das BVerfG hat im Rahmen der "Sozietätswechsel"-Entscheidung[37] dem ausdrücklich erklärten Einverständnis des Mandanten eine entscheidende Bedeutung beigemessen. In dieser Entscheidung ging es darum, dass ein nicht mit der Angelegenheit befasster Rechtsanwalt einer Sozietät in eine Sozietät wechselte, deren Gegner von der Sozietät des "Wechslers" vertreten wird. Der "Wechsler" selbst hatte das Mandat nicht betreut und auch keine Kenntnisse aus dem Mandatsverhältnis. Hier sah es das BVerfG als einen zu weitreichenden Eingriff in Art. 12 GG an, wenn in derartigen Konstellationen einerseits dem Anwalt ein Wechsel und andererseits der "aufnehmenden" Sozietät das Hinzugewinnen neuer, spezialisierter Rechtsanwälte unmöglich gemacht würde. Mit dieser Entscheidung wurde § 3 Abs. 2 BORA in der damaligen Fassung für nichtig erklärt.

 

Rz. 22

Die Bedeutung des Einverständnisses des Mandanten wird durch die Formulierung des § 3 Abs. 2 S. 2 BORA gestützt (der nach der "Sozietätswechsel"-Entscheidung[38] geändert werden musste) und ausdrücklich die Möglichkeit einer Einverständniserklärung bei widerstreitenden Mandaten neu normiert. Jene – an weitere Voraussetzungen geknüpfte – Möglichkeit des Einverständnisses betrifft jedoch die Wahrnehmung unterschiedlicher Interessen durch unterschiedliche Rechtsanwälte in einer Sozietät/Bürogemeinschaft, nicht hingegen die eines Einzelanwalts. Aber auch wenn man die Vertretung von Miterben durch mehrere Anwälte einer Sozietät in Erwägung zieht, sollte sich jeder Anwalt fragen, ob in einer solchen Konstellation nicht "Belange der Rechtspflege" (§ 3 Abs. 2 S. 2 BORA) der Interessenwahrnehmung entgegenstehen – und zwar zu Beginn der Mandatsannahme.

[36] Grunewald, ZEV 2006, 386, 389.
[37] BVerfG, Beschl. v. 3.7.2003 – 1 BvR 238/01 ("Sozietätswechsler"), juris.
[38] BVerfG, Beschl. v. 3.7.2003 – 1 BvR 238/01 ("Sozietätswechsler"), juris.

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