Rz. 16

Die eigentliche Auseinandersetzung bei der Prüfung eines Parteiverrats findet – soweit es erbrechtliche Mandate angeht – somit selten bei der Frage statt, ob es sich um "dieselbe Rechtssache" handelt (vgl. hierzu oben Rdn 5 ff.). Gerungen wird vielmehr um die Bedeutung der "widerstreitenden Interessen" (§ 43a Abs. 4 bzw. § 3 Abs. 1 BORA) bzw. des "pflichtwidrigen Dienens" (§ 356 StGB). Insbesondere bei der strafrechtlichen Beurteilung handelt es sich regelmäßig um das zentrale Tatbestandsmerkmal, dass über die Frage der Strafbarkeit des anwaltlichen Handelns den Ausschlag gibt.[24] Letztlich ist dies der "Dreh- und Angelpunkt" der Diskussion zur Frage des Bestehens einer Interessenkollision und des Parteiverrats. Dabei sind die Fragen zu beantworten, wie einerseits das Interesse des Mandanten und andererseits der Widerstreit zu ermitteln ist.[25] Der Streit über die Beantwortung dieser Fragen, wurde bis in das Jahr 2010 kontrovers geführt. In seinem Beschluss v. 4.2.2010 führt der 9. Zivilsenat dann wörtlich aus:

Zitat

"Der in der Vergangenheit zum Tatbestand des Parteiverrats geführte Meinungsstreit, ob die maßgeblichen Interessen mehrerer von einem einzelnen Rechtsanwalt vertretener Mandanten objektiv zu bestimmen sind oder nach deren subjektiv verfolgten Zielen, ist überholt. Es besteht im Grundsatz Einigkeit, dass den subjektiven Vorstellungen der Mandanten entscheidende Bedeutung zukommt."[26]

 

Rz. 17

Der Senat nimmt dabei auf die Entscheidung des BVerfG vom 3.7.2003 ("Sozietätswechsel")[27] Bezug und sieht sich auch hierdurch darin bestätigt, dass zu dieser Frage kein Streit bestünde und daher die Nichtzulassungsbeschwerde gerade keine klärungsbedürftigen Fragen aufweise. Durch die Entscheidungen des Anwaltssenats des BGH vom 23.4.2012[28] sowie des IV. Zivilsenats vom 16.1.2013[29] scheint die Streitfrage jedoch nunmehr auch vom BGH wieder aufgeworfen worden zu sein – freilich ohne dies anzusprechen oder gar den Streit näher zu erörtern.[30]

Es lassen sich im Wesentlichen die drei nachfolgend dargestellten Auffassungen feststellen, wie die Frage nach Pflichtwidrigkeit bzw. des Widerstreits der Interessen zu beantworten ist. Dieser Theorienstreit hat Auswirkungen auf den Zeitpunkt der Nichtigkeit des Anwaltsvertrages (siehe hierzu unten Rdn 25) sowie das Schicksal des Vergütungsanspruches (siehe hierzu unten Rdn 29).

[24] SK-StGB/Rogall, § 356 Rn 31.
[25] Henssler, AnwBl 2013, 668, 669.
[26] BGH, Beschl. v. 4.2.2010 – IX ZR 190/07, Rn 4, juris (Hervorhebung nicht im Original).
[28] BGH, Urt. v. 23.4.2012 – AnwZ (Brfg) 35/11, juris.
[30] Sehr kritisch hierzu: Henssler, AnwBl 2013, 668, 670.

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