Rz. 72

Nach der Rechtsprechung des BGH[99] behalten über § 2268 Abs. 2 BGB fortgeltende wechselbezügliche Verfügungen auch nach Scheidung der Ehe ihre Wechselbezüglichkeit und können nicht gemäß § 2271 Abs. 1 S. 2 BGB durch einseitige Verfügung von Todes wegen aufgehoben werden.

 

Praxishinweis

Somit können wechselbezügliche Verfügungen, die nach § 2268 Abs. 2 BGB fortgelten, nur nach den für den Rücktritt vom Erbvertrag geltenden Vorschriften widerrufen werden. Soll dies verhindert werden, ist in der gemeinsamen letztwilligen Verfügung ein ausdrücklicher Hinweis aufzunehmen, dass für den Fall, dass ein begründeter Scheidungsantrag rechtshängig ist, die ganze Verfügung von Todes wegen unwirksam und § 2268 Abs. 2 BGB ausgeschlossen sein soll.

Nach der Rspr. ist demnach anerkannt, dass gemäß § 2268 Abs. 2 BGB die Verfügungen gemeinschaftlich testierender Ehegatten trotz späterer Auflösung der Ehe oder gleichgestellter Voraussetzungen (§ 2077 Abs. 1 S. 2 oder 3 BGB) bei entsprechendem Willen voll inhaltlich aufrecht erhalten bleiben können. Ein derartiger für den Zeitpunkt der Testamentserrichtung festzustellender Wille kann sich auch auf wechselbezügliche Verfügungen beziehen, die dann über den Bestand der Ehe hinaus ihre in §§ 2270, 2271 BGB normierten Wirkungen behalten. Gemeinschaftliche Testamente bleiben gültig, soweit dies dem Aufrechterhaltungswillen der Erblasser entspricht.[100]

 

Rz. 73

Die gegenteilige Auffassung in der Lit.[101] wurde nun vom BGH vehement zurückgewiesen. § 2268 Abs. 2 BGB sehe nach Ansicht des BGH umfassend die Fortgeltung sämtlicher Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten bei entsprechendem Willen der Testierenden vor. Für eine mit dieser einschränkungslosen Fortgeltung zugleich angeordnete Beschränkung der Bindungswirkung des § 2271 Abs. 1 BGB durch den Fortfall der Wechselbezüglichkeit bestehe kein Anhalt. Die Beschränkung der Wechselbezüglichkeitsgeltung hätte der gesetzlichen Regelung bedurft, nicht aber die uneingeschränkte Fortgeltung, die bereits in § 2268 Abs. 2 BGB – nach Wortlaut und Zweck nicht missverständlich – angelegt ist.

Nach § 2268 Abs. 2 BGB bleiben die Verfügungen – wiederum unabhängig davon, ob es sich um gegenseitige, wechselbezügliche oder um keines von beiden handelt – insoweit wirksam, als anzunehmen ist, dass sie auch für diese Fälle getroffen sein würden. Dabei kommt es, wenn der wirkliche Wille nicht feststellbar ist, auf den hypothetischen Willen im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments an.

 

Rz. 74

Ein derartiger Aufrechterhaltungswille wird bereits dann ausscheiden, wenn der Fortbestand der Ehe als nicht unwesentliches mitbestimmendes Motiv für die Verfügung noch in Betracht kommt.[102] Umgekehrt wird in solchen Fällen von einem Aufrechterhaltungswillen ausgegangen, in denen die Ehegatten wechselseitig nicht sich, sondern direkt ihre Kinder, Enkelkinder oder familienfremde Dritte zu Erben eingesetzt haben.[103] Beweislast und materielle Feststellungslast für die Gründe, aus denen sich der Aufrechnungserhaltungswille ergibt, an dessen Feststellung keine niedrigen Anforderungen zu stellen sind, liegen bei demjenigen, der aus dem gemeinschaftlichen Testament Rechte herleiten will. Mit § 2268 Abs. 2 BGB wird auf diese Weise Eheleuten die Möglichkeit eröffnet, über die Dauer der Ehe hinaus zu testieren. Wie weit diese nachehelich wirkenden letztwilligen Verfügungen inhaltlich reichen sollen, wird von der jeweiligen durch die übereinstimmenden Vorstellungen der Ehepartner geprägten Willensrichtung bestimmt, die als wirkliche oder jedenfalls hypothetische feststellbar sein muss.

 

Praxishinweis

Bei den Wirkungen des § 2277 BGB handelt es sich lediglich um eine Fiktion, die widerlegbar ist. Besondere Vorsicht ist daher walten zu lassen, wenn die Eheleute wieder verheiratet sind oder sich wieder versöhnt haben könnten. Auch bei erfolgter Scheidung sollte der Mandant rein vorsorglich eine Klarstellung schriftlich niederlegen, ob das Testament mit der Erbeinsetzung des Ehepartners weiter gelten soll oder nicht. Am einfachsten ist dies durch einen ausdrücklichen Widerruf im Rahmen eines neuen Testaments.

[100] BayObLG NJW 1996, 133; FamRZ 1994, 193; OLG Stuttgart FamRZ 1977, 274; vgl. auch OLG Hamm OLGZ 1994, 326; FamRZ 1992, 478.
[101] Insbesondere Muscheler, DNotZ 1994, 733 ff.
[102] OLG Hamm FamRZ 1992, 478 f.
[103] BayObLG NJW-RR, 1993, 1157.

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