Rz. 101

Umstritten ist, ob einem Beteiligten Verfahrenskostenhilfe in einem gerichtlichen Verfahren über das Umgangsrecht wegen Mutwilligkeit verweigert werden kann, wenn vorher nicht versucht worden ist, über das Jugendamt eine Vermittlung herbeizuführen.

Zur Frage der Mutwilligkeit bei gleichzeitigem Antrag zur Hauptsache und im Verfahren der einstweiligen Anordnung siehe Rdn 119.

 

Rz. 102

Mutwillig ist die Rechtsverfolgung, wenn ein Beteiligter, der keine Verfahrenskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht (§§ 76 Abs. 1 FamFG, 114 Abs. 2 ZPO). Mutwilligkeit ist zu bejahen, wenn ein einfacherer und billigerer Weg zum gleichen Erfolg führt. Er muss dem kostenaufwändigeren im Wesentlichen aber ganz gleichwertig sein. Mit schlechterem Rechtschutz braucht sich der Hilfebedürftige nicht zufrieden zu.

Wenn der Bedürftige vor Einleitung des gerichtlichen Verfahrens keinen Versuch einer außergerichtlichen Streitschlichtung unter Vermittlung des Jugendamtes unternommen hat, ist umstritten, ob die Rechtsverfolgung als mutwillig einzustufen ist.

aa) Strenge Ansicht: Jugendamt muss immer eingeschaltet werden

 

Rz. 103

Nach einer strengen Ansicht wird dies unter Hinweis auf die Subsidiarität und den Sozialhilfecharakter der Verfahrenskostenhilfe bejaht, so dass vom Hilfsbedürftigen immer zunächst zu verlangen sei, dass er die kostenfreien Angebote zur Erreichung seines Ziels wenigstens versuchsweise wahrgenommen habe, bevor er gerichtliche Hilfe in Anspruch nehme.[141]

[141] OLG Köln FamRZ 2013, 1241; Markwardt in Johannsen/Henrich, Familienrecht, 7. Aufl. 2020, § 114 ZPO Rn 28 m.w.N.; Keuter, FamRZ 2009, 1891 f.

bb) Gegenansicht: Einschaltung des Jugendamtes nie erforderlich

 

Rz. 104

Die Gegenansicht verneint generell Mutwilligkeit, wenn ein Elternteil das Familiengericht anruft, ohne vorher die Beratung und Hilfe des Jugendamts in Anspruch genommen zu haben, weil dies nicht vorgeschrieben sei und die Erledigung verzögere.[142]

[142] OLG Frankfurt v. 27.3.2017 – 2 WF 163/16, FuR 2017, 515; OLG Zweibrücken v. 12.11.2020 – 2 UF 139/20, FuR 2021, 205; Zimmermann in Keidel, FamFG, 20. Aufl. 2020, § 76 Rn 17 m.w.N.; OLG Hamm FamFR 2011, 304; OLG Hamm NJW-RR 2011, 1577.

cc) Vermittelnde Auffassungen

 

Rz. 105

Vorzuziehen ist eine vermittelnde Auffassung, nach der dem Hilfsbedürftigen zwar zunächst abverlangt wird, die für ihn kostenfreien Angebote und Vermittlungsbemühungen des Jugendamtes zur Erreichung seines Zieles wenigstens versuchsweise wahrzunehmen, bevor er gerichtliche Hilfe in Anspruch nimmt. Nur soweit solche Bemühungen seitens des Jugendamtes bereits fehlgeschlagen oder erkennbar aussichtslos sind, kann die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für ein sofortiges gerichtliches Verfahren in Betracht kommen, da anderenfalls eine weitere Zeitverzögerung droht.[143] Mutwilligkeit ist also anzunehmen, wenn nach den konkreten Umständen im Einzelfall aussichtsreiche Möglichkeiten einer vorgerichtlichen Verständigung bestanden, die jedoch nicht genutzt wurden, könne.[144]

 

Rz. 106

 

Praxistipp:

Entscheidend ist letztlich der konkrete Kontext der beantragten Umgangsregelung im Einzelfall.
Relevant sein können dabei die Vorgeschichte, ein möglicher enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Trennung und der sofortigen Inanspruchnahme des Familiengerichts sowie das Konfliktniveau zwischen den Eltern.
Wird in "normalen Fällen" sofort ein Umgangsrechtsantrag beim Familiengericht gestellt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass diese Vorgehensweise als Mutwillig eingestuft und Verfahrenskostenhilfe verweigert wird.[145]
Zu bedenken sind immer auch die kostenrechtlichen Konsequenzen eines sofortigen Antrags an das Familiengericht. Denn es fallen nicht nur die Gerichtskosten und Anwaltsgebühren an. Auch durch die regelmäßig notwendige Bestellung eines Verfahrensbeistandes werden weitere Kosten ausgelöst (siehe Rdn 86).

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