Dr. Birgit Wilhelm-Lenz, Jochem Schausten
Rz. 372
Zu den einzelnen Tatbeständen:
Unterhalt wegen Betreuung gemeinschaftlicher Kinder, § 1570 BGB: Betreut der eine Elternteil ein gemeinsames Kind der Parteien und ist er deshalb gehindert, eine Erwerbstätigkeit auszuüben, so hat er einen Unterhaltsanspruch gegen den nicht betreuenden Elternteil, sofern und soweit ihn dies an der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit hindert.
Die Beantwortung der Frage, ob, wann und in welchem Umfang dem betreuenden Elternteil neben der Betreuung die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zuzumuten ist, hängt von folgendem ab:
War der betreuende Elternteil auch während der Dauer des Zusammenlebens berufstätig, so hat er seine Berufstätigkeit weiter auszuüben, es sei denn, aufgrund der veränderten Lebenssituation (z.B. Wegfall der Betreuungsleistung des anderen Ehepartners, erhöhter Betreuungsbedarf durch Traumatisierung des Kindes durch die Ehescheidung) ist dies nicht mehr möglich. Hier ist auf die individuelle Situation (Gesundheitszustand, Ausbildungsstand, Alter) abzustellen.
Solange das jüngste Kind noch nicht drei Jahre alt ist, besteht grundsätzlich keine Erwerbsobliegenheit des Unterhaltsberechtigten (es sei denn, eine Berufstätigkeit ist auch während der Ehe ausgeübt worden). Die Notwendigkeit der Kinderbetreuung nimmt mit zunehmendem Alter der Kinder ab. Sobald das jüngste Kind älter als drei Jahre ist, muss eine Erwerbstätigkeit aufgenommen werden, wobei die Möglichkeiten der Fremdbetreuung zu berücksichtigen sind, § 1570 Abs. 1 S. 3 BGB.
Die Dauer und die Höhe des Unterhaltsanspruchs richten sind nach den Belangen und der Anzahl der zu betreuenden Kinder und den bestehenden Betreuungsmöglichkeiten. Das Altersphasenmodell wird nicht mehr schematisch angewendet, sondern es wird eine am Bedarf des Kindes orientierte Betrachtung vorgenommen.
Übt der betreuende Elternteil trotz der Zumutbarkeit der Erwerbsaufnahme keine Berufstätigkeit aus, so sind ihm die zu erzielenden Einkünfte gleichwohl als fiktive Einkünfte zuzurechnen.
Rz. 373
Hinweis
Es gibt keine schematischen Grundsätze, wann und in welchem Umfang dem betreuenden Elternteil eine Erwerbstätigkeit neben der Kindererziehung zugemutet werden kann, so dass zu den individuellen Verhältnissen und dem gemeinsamen Lebensplan der Parteien vorgetragen werden sollte! Für jedes Abweichen vom "Normalfall" ist derjenige darlegungs- und beweispflichtig, der dieses Abweichen vorträgt.
Rz. 374
Die Voraussetzungen des § 1570 BGB müssen nicht im Zeitpunkt der Scheidung vorliegen, so dass der Anspruch auch geltend gemacht werden kann, wenn ein erwachsenes Kind pflegebedürftig wird.
Rz. 375
Tipp
Der Anspruch nach § 1570 BGB ist vorrangig vor dem Anspruch eines weiteren geschiedenen Ehegatten zu befriedigen, der keine Kinder betreut, § 1609 S. 1 Nr. 2 BGB, weil der Schutz der Kindesinteressen eine hervorgehobene Bedeutung hat.
Rz. 376
Hinweis
Bei der Abwehr eines Unterhaltsanspruchs nach § 1570 BGB ist darauf zu achten, dass eine zeitliche Befristung und betragsmäßige Begrenzung beantragt wird, § 1578b BGB!
Der Unterhaltsanspruch lebt nach Scheitern einer zweiten Ehe wieder auf, § 1586a BGB.
Der Anspruch ist auch dann gegeben, wenn der betreuende Ehegatte vermögend ist. Das Vermögen muss nicht aufgebraucht werden, § 1577 Abs. 4 S. 2 BGB.
Unterhalt wegen Alters, § 1571 BGB: Wem es:
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nach der Scheidung oder |
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nach Beendigung der Kindesbetreuung oder |
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nach Wegfall eines Unterhaltsanspruchs wegen Krankheit/Gebrechen oder |
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nach Wegfall eines Unterhaltsanspruchs wegen Erwerbslosigkeit |
aufgrund seines Alters nicht mehr zumutbar ist, eine Erwerbstätigkeit auszuüben, hat einen Anspruch auf Altersunterhalt. Dieser Anspruch muss in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Scheidung oder dem Wegfall der oben genannten Unterhaltsansprüche stehen. Ob die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit unzumutbar ist, bemisst sich anhand objektiver Kriterien (Art des Berufs, Arbeitsmarktlage aufgrund des Alters) und anhand subjektiver Kriterien (individuelle Entwicklung während der Ehe). Bei einer zumutbaren Teilerwerbstätigkeit ist es möglich, darüber hinaus Unterhalt nach § 1573 Abs. 2 BGB zu beanspruchen.
Rz. 377
Unterhalt wegen Krankheit oder Gebrechen, § 1572 BGB: Wem es:
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nach der Scheidung oder |
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nach Beendigung der Kindererziehung oder |
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nach Beendigung einer Ausbildung, Umschulung oder Fortbildung oder |
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nach Wegfall eines Anspruchs auf Unterhalt wegen Erwerbslosigkeit oder |
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nach Wegfall eines Anspruchs auf Aufstockungsunterhalt |
aus gesundheitlichen Gründen unmöglich ist, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, hat einen Anspruch auf Krankheitsunterhalt.
Die Krankheit muss in einem der oben genannten Einsatzzeitpunkte bereits zumindest latent vorhanden sein und in nahem zeitlichen Zusammenhang hierzu ausbrechen und dazu führen, dass eine Erwerbstätigkeit nicht möglich ist. Es ist nicht erforderlich, dass es sich um eine Krankheit aus der Zeit der Ehe handelt: Auch Krankheiten, die schon zuvor latent vorhanden waren, führe...