Rz. 26

Erforderlich ist auf der Basis des Wortlauts eines Ehevertrages die "interessengerechte Auslegung" der Vereinbarung, bei der maßgeblich der Sinn und Zweck einer Klausel sowie deren wirtschaftliche Bedeutung Berücksichtigung finden.[36]

 

Rz. 27

Der BGH hat dem Grundsatz der Ehevertragsfreiheit Grenzen gesetzt.[37] Ausgehend von der Dispositionsfreiheit der Eheleute muss eine Gesamtschau der getroffenen Vereinbarungen, der Gründe und Umstände ihres Zustandekommens sowie der beabsichtigten und verwirklichten Gestaltung des ehelichen Lebens erfolgen.[38] Dabei wird eine Rangordnung der Scheidungsfolgen aufgestellt, der nach der die Dispositionsfreiheit der Ehegatten einer Überprüfung und unterschiedlicher Intensität unterliegt. Die nachteilige Belastung des anderen Ehegatten wiegt umso schwerer, je unmittelbarer die vertragliche Abbedingung von gesetzlichen Unterhaltsregelungen in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreift.[39] Allerdings gibt es keinen unverzichtbaren Mindeststandard an Scheidungsfolgen.[40]

 

Rz. 28

Für die objektive Seite ist die Wertigkeit des Rechts maßgebend, auf das verzichtet oder das sonst geschmälert wird. Je mehr die Vereinbarung in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreift, desto eher ist eine Beanstandung anzunehmen.

 

Rz. 29

Zum Kernbereich gehören:

in erster Linie der Betreuungsunterhalt nach § 1570 BGB,
der Unterhalt wegen Alters (§ 1571 BGB) und der Krankheitsunterhalt (§ 1572 BGB),[41]
auf derselben Stufe mit dem Altersunterhalt rangiert der Versorgungsausgleich, der als vorweggenommener Altersunterhalt nur begrenzt zur Disposition steht,[42]
nachrangig ist die Unterhaltspflicht wegen Erwerbslosigkeit (§ 1573 Abs. 1 BGB),[43]
der Krankenvorsorge- und Altersvorsorgeunterhalt (§ 1578 Abs. 2, 1. Alt., Abs. 3 BGB, es sei denn, sie würden den Vorrang des zugrunde liegenden Unterhaltsanspruchs, z.B. aus § 1570 BGB teilen, weil sie zum Ausgleich von ehebedingten Nachteilen dienen,[44]
am ehesten verzichtbar erscheinen die Ansprüche auf Aufstockungs- und Ausbildungsunterhalt (§§ 1573 Abs. 2, 1575 BGB)[45] sowie der Billigkeitsunterhalt nach § 1576 BGB.[46]
 

Rz. 30

Kompensationslose Vereinbarungen zum nachehelichen Unterhalt stehen und fallen damit, wo der vom Ausschluss erfasste Unterhalt in der Pyramide steht. Deshalb dürfte der sog. Basisunterhalt nach § 1570 Abs. 1 Satz 1 BGB und auch des Annexunterhalts nach § 1570 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BGB[47] ohne Kompensation als unverzichtbar anzusehen sein. Begrenzungen und Befristungen, und zwar auch hinsichtlich der dem Kernbereich unterfallenden Tatbestände, sind zulässig, wenn sie den ehebedingten Nachteilen hinreichend Rechnung tragen und mit dem Gebot der nachwirkenden ehelichen Solidarität zu vereinbaren ist.[48] Ist dies nicht der Fall, ist der Ehevertrag im Wege der Ausübungskontrolle anzupassen. Am ehestens disponibel ist der Unterhalt nach §§ 1573 ff. BGB.

 

Rz. 31

Allerdings kennt das Gesetz keinen unverzichtbaren Mindestgehalt an Scheidungsfolgen zugunsten des berechtigten Ehegatten. Daher kann nur dann auf die verwerfliche Gesinnung des begünstigten Ehegatten geschlossen werden, wenn sich in dem unausgewogenen Vertragsinhalt eine auf ungleichen Verhandlungspositionen basierende einseitige Dominanz eines Ehegatten und damit eine Störung der subjektiven Vertragsparität widerspiegelt.

 

Rz. 32

 

Praxistipp:

Eine Vermutung für die subjektive Seite der Sittenwidrigkeit, die sich lediglich auf die Einseitigkeit der Lastenverteilung stützt, lässt sich bei familienrechtlichen Verträgen nicht aufstellen.

 

Rz. 33

Bei der Wirksamkeitskontrolle wird geprüft, ob im Zeitpunkt des Zustandekommens der Vereinbarung eine offenkundig evident einseitige Lastenverteilung für den Scheidungsfall besteht, die für den belasteten Ehegatten unzumutbar erscheint. Erforderlich ist eine Gesamtwürdigung die – losgelöst von der zukünftigen Entwicklung der Ehegatten und ihrer Lebensverhältnisse – objektiv auf die individuellen Verhältnisse bei Vertragsabschluss abstellt,

insbesondere auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse, auf den geplanten oder bereits verwirklichten Zuschnitt der Ehe,
sowie auf die (absehbaren) Auswirkungen auf Ehegatten und Kinder.[49]
 

Rz. 34

Lediglich allein unausgewogener Vertragsinhalt reicht nicht aus. Zwar kann dies ein gewisses Indiz für eine unterlegene Verhandlungsposition des belasteten Ehegatten sein. Dennoch kann die Sittenwidrigkeit nur bejaht werden, wenn außerhalb der Vertragsurkunde keine verstärkenden Umstände zu erkennen sind, die auf eine subjektive Imparität, insbesondere infolge der Ausnutzung einer Zwangslage, sozialer oder wirtschaftlicher Abhängigkeit oder intellektueller Unterlegenheit hindeuten könnten.[50]

 

Rz. 35

 

Praxistipp:

Notwendig sind konkrete Feststellungen zu einer unterlegenen Verhandlungsposition des benachteiligten Ehegatten.[51]
Das Zusammenspiel der einseitig belastenden Regelungen ist nur dann Ausdruck einer verwerflichen Gesinnung, wenn "sich in dem unausgewogenen Vertrag...

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