Rz. 1765

Während im laufenden Arbeitsverhältnis das Interesse des Arbeitnehmers an der (tatsächlichen) Beschäftigung das Interesse des Arbeitgebers an einer "Suspendierung" des Arbeitnehmers regelmäßig überwiegt, ändert sich dieses Verhältnis nach Ausspruch einer Kündigung durch den Arbeitgeber nach der st. Rspr. des BAG dahin gehend, dass – abgesehen von Ausnahmefällen – i.d.R. das Interesse des Arbeitgebers an einer Nichtbeschäftigung nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zu einem einer Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers stattgebenden Urteil überwiegt (BAG v. 27.2.1985 – GS 1/84, NJW 1985, 2968).

 

Rz. 1766

Nach einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses besteht in der Praxis allerdings häufig der Wunsch – beider Vertragsparteien – nach einer Freistellung des Arbeitnehmers von der Arbeitsleistung bis zum Ende der Kündigungsfrist unter Fortzahlung der Bezüge (zu den sozialrechtlichen Auswirkungen derartiger Freistellungsregelungen vgl. Schlegel, NZA 2005, 972).

 

Rz. 1767

Einvernehmlich ist das zunächst einmal unproblematisch. Stellt ein Arbeitgeber den Arbeitnehmer hingegen mit Ausspruch der Kündigung "bis zur Beendigung des Anstellungsverhältnisses unter Fortzahlung der Bezüge und unter Anrechnung noch offener Urlaubsansprüche von der Arbeitspflicht frei", stellt sich die Frage, ob hierin eine wirksame Urlaubsgewährung zu sehen ist. Da ein "Urlaub auf Abruf" (bei einer widerruflichen Freistellung) keine wirksame Gewährung darstellt und insoweit den Mindesturlaubsanspruch des Arbeitnehmers unberührt lässt, ist nur eine unwiderrufliche Freistellung des Arbeitgebers als wirksame Erfüllung anzusehen (BAG v. 16.7.2013 – 9 AZR 50/12, AP BUrlG § 7 Nr. 65). Das BAG hat die obige Erklärung eines Arbeitgebers dennoch als ausreichend erachtet, da die Freistellung "erkennbar (auch) zur Erfüllung des Urlaubsanspruches" erfolgen sollte und eine Bindung des Arbeitgebers an den so gewährten Urlaub auch dann eintrete, wenn in der Erklärung die Unwiderruflichkeit nicht "deklatorisch" wiederholt werde (BAG v. 14.3.2006 – 9 AZR 11/05, NJOZ 2006, 3100; krit. Bauer, NZA 2007, 409; zur Auslegung nichttypischer Willenserklärungen insgesamt vgl. etwa BAG v. 14.8.2007 9 AZR 934/06, NZA 2008, 473; Meier, NZA 2002, 873 ff.). Dem ist zuzustimmen. Sofern der Arbeitnehmer gegen eine derartige Freistellung keinen Widerspruch erhebe, führt diese akzeptierte Freistellung somit zu einer Erfüllung von Urlaubsansprüchen (BAG v. 15.6.2004 – 9 AZR 431/03, DB 2004, 2053). Ist der Arbeitnehmer hingegen mit einer derartigen Urlaubsgewährung nicht einverstanden, weil er ein Annahmeverweigerungsrecht geltend macht, hat er dies dem Arbeitgeber unverzüglich mitzuteilen. Unterbleibt eine solche Mitteilung, kann der Arbeitgeber davon ausgehen, der Arbeitnehmer lege die Urlaubszeit innerhalb der Kündigungsfrist selbst fest. Ein späteres Urlaubsabgeltungsverlangen des Arbeitnehmers wäre dann rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB) und deshalb unbegründet (BAG v. 6.9.2006 – 5 AZR 703/05, NZA 2007, 36; vgl. insgesamt auch etwa Ernst, NZA-RR 2007, 564 ff.).

 

Rz. 1768

Die (wirksame) Erfüllung des Urlaubsanspruches scheitert nach Auffassung des BAG übrigens auch nicht daran, dass der Zeitraum durch den Arbeitgeber nach Ausspruch der Kündigung und Freistellungserklärung nicht weiter konkretisiert wird als "bis zum Ablauf der Kündigungsfrist" (BAG v. 14.3.2006 – 9 AZR 11/05, NJOZ 2006, 3100; BAG v. 16.7.2013 – 9 AZR 50/12, AP BUrlG § 7 Nr. 65). Besondere Bedeutung ist bei der Formulierung der Freistellungserklärung allerdings dann der Urlaubsabrechnung zu schenken, wenn während der Dauer der Kündigungsfrist auch eine Anrechnung eines anderweitigen Verdienstes nach § 615 S. 2 BGB erfolgen soll. In dem Fall wäre eine genaue Festlegung des Urlaubs sinnvoll (BAG v. 14.5.2013 – 9 AZR 760/11, ArbRAktuell 2013, 447; BAG v. 20.8.2019 – 9 AZR 468/18, NZA 2019, 1581).

 

Rz. 1769

Der Urlaubsanspruch bleibt, unabhängig von einem anhängigen Kündigungsrechtsstreit, an das Urlaubsjahr gebunden. Der Arbeitnehmer hatte nach der ständigen Rechtsprechung des BAG bislang den Urlaub demnach (weiter) zu verlangen, denn erst danach sei der Arbeitgeber zur Gewährung verpflichtet. Hat der Arbeitnehmer rechtzeitig vor Ablauf des Urlaubsjahres bzw. vor Ablauf des Übertragungszeitraumes Urlaub verlangt und ist der Arbeitgeber diesem Verlangen nicht nachgekommen, so befand sich der Arbeitgeber in Schuldnerverzug, der diesen zum Schadensersatz verpflichtete (§§ 275 Abs. 1 und 4, 280 Abs. 1 und 3, 283 Abs. 1, 286 Abs. 1 S. 1, 249 Abs. 1 BGB). Je nach Lage des Falls kann sich der Schadenersatz daher auf Urlaubsgewährung oder Abgeltung richten.

Die Erhebung einer Kündigungsschutzklage beinhaltete bislang nicht konkludent die Geltendmachung des Urlaubes, eine fristgerechte Geltendmachung blieb daher erforderlich (BAG v. 21.9.1999 – 9 AZR 705/98, NZA 2000, 590). Der 9. Senat des BAG ließ die Erhebung einer Bestandschutzklage für die Geltendmachung von Urlaubsabgeltung (und die Wahrung der maßgeblichen Ausschluss...

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