Rz. 51

Der Kündigungssachverhalt muss sich in den Fällen des Erfordernisses einer vorherigen Abmahnung als Wiederholung der bereits abgemahnten Pflichtverletzung darstellen und die Schlussfolgerung rechtfertigen, der Arbeitnehmer habe sich die Abmahnung nicht zur Warnung dienen lassen. Problematisch ist hier, ob und wann die Rüge- und Warnfunktion der Abmahnung durch Zeitablauf ihre Wirkung verliert.

 

Rz. 52

Nach bisheriger Rechtsprechung ist die Wirkungsdauer einer Abmahnung begrenzt. Als Kehrseite der Warnfunktion hat sie auch den Sinn, die gerügte Pflichtverletzung zu verzeihen, wenn sich der Arbeitnehmer in Zukunft pflichtgemäß verhält. Die Rspr. hat aber nicht den in der Praxis verbreiteten Grundsatz anerkannt, eine Abmahnung verliere nach Ablauf von 2 Jahren automatisch ihre Wirkung und müsse allein wegen des Zeitablaufes aus den Personalakten entfernt werden (BAG v. 18.11.1986 – AZR 674/84, NZA 1987, 418 = BB 1987, 1252; a.A. LAG Hamm v. 14.5.1986 – 2 Sa 320/86, NZA 1987, 26 = DB 1986, 1628). Das BAG erkennt zwar an, dass auch eine ursprünglich berechtigte Abmahnung durch Zeitauflauf gegenstandslos werden könne. Verhalte sich der Arbeitnehmer längere Zeit einwandfrei, könne es dem Arbeitgeber verwehrt sein, sich auf früher abgemahnte Pflichtverstöße zu berufen. Es gibt aber keine Regelfrist, nach deren Ablauf die Abmahnung ihre kündigungsrechtliche Warnfunktion ohne weitere Prüfung verliert (BAG v. 27.1.1988 – 5 AZR 604/86, RzK I 1 Nr. 26). An dieser Rechtsprechung kann seit der "Emmely-Entscheidung (BAG v. 10.6.2010 – 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227 = DB 2010, 2395) nicht mehr festgehalten werden. Das BAG hat in dieser Entscheidung insb. darauf abgestellt, dass das Arbeitsverhältnis bis zum kündigungsauslösenden Ereignis "beanstandungsfrei" verlaufen sei. Bei einem länger andauernden, beanstandungsfreien Arbeitsverlauf soll der Arbeitnehmer ein "Vertrauenskapital" aufbauen können, das eine einzelne, geringfügige Pflichtverletzung für sich genommen nicht zerstören könne. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass, sofern frühere Beanstandungen nachgewiesen werden können, dies bei der Interessenabwägung zugunsten des Arbeitgebers berücksichtigt werden müsse. Aus diesem Grund kann die Abmahnung nicht mehr allein durch Zeitablauf wirkungslos werden (so auch Novara/Knierim NJW 2011, 1175; ErfK/Niemann, § 626 Rn 35a). Hieran anknüpfend hat auch das BAG in einer Entscheidung aus dem Jahre 2012 die Voraussetzungen für einen Entfernungsanspruch bei einer berechtigten Abmahnung neu definiert. Einer Abmahnung kommt neben der Warnfunktion auch eine Dokumentationsfunktion zu. Auch die Dokumentationsfunktion der Abmahnung müsse in die beim Entfernungsanspruch vorzunehmende Interessenabwägung einfließen, so dass für den Entfernungsanspruch nicht lediglich der Verlust der Warnfunktion ausreicht. Der Arbeitnehmer darf die Entfernung einer zu Recht erteilten Abmahnung nur dann verlangen, wenn das gerügte Verhalten für das Arbeitsverhältnis in jeder Hinsicht bedeutungslos geworden ist. Das ist nicht der Fall, solange die Abmahnung etwa für eine zukünftige Entscheidung über eine Versetzung oder Beförderung und die entsprechende Eignung des Arbeitnehmers, für die spätere Beurteilung von Führung und Leistung in einem Zeugnis oder für die im Zusammenhang mit einer späteren Kündigung erforderliche Interessenabwägung von Bedeutung sein kann (BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 782/11, juris). Faktisch wird ein Entfernungsanspruch bei einer zu Recht ausgesprochenen Abmahnung daher kaum noch anzunehmen sein, er ist denkbar bei Bagatellverstößen oder bei einem zeitnahen Ende des Arbeitsverhältnisses (Salamon/Rogge, NZA 2013, 363).

 

Rz. 53

Eine Abmahnung verliert ihre Wirkung jedoch dann, wenn neue Umstände eintreten, die aus der Sicht des Arbeitnehmers für eine geänderte Auffassung des Arbeitgebers sprechen.

 

Beispiel

Der Arbeitgeber mahnt zunächst Verspätungen des Arbeitnehmers ab, ein anderer Vorgesetzter gibt aber später zu verstehen, dass ein paar Minuten Verspätung nicht so schlimm seien, wenn nur die Arbeit erledigt oder die Arbeitszeit nachgearbeitet werden würde.

 

Rz. 54

Umgekehrt ist eine ausreichende Distanz zwischen Abmahnungsgeschehen und Kündigungssachverhalt nicht erforderlich. Dem abgemahnten Arbeitnehmer muss aber naturgemäß die Gelegenheit gegeben werden, sich vertragsgerecht zu verhalten. Deshalb ist es unzulässig, wegen der abgemahnten Pflichtverletzung zu kündigen (BAG v. 26.11.2009 – 2 AZR 751/08, DB 2010, 733 = NZA 2010, 823; BAG v. 10.11.1988 – 2 AZR 215/88, NZA 1989, 633 = DB 1989, 1427). Sofern weitere Gründe zu den abgemahnten Gründen treten, kann der Arbeitgeber auf diese bei dem Ausspruch einer Kündigung lediglich unterstützend zurückgreifen (vgl. BAG v. 26.11.2009 – 2 AZR 751/08, DB 2010, 733).

 

Rz. 55

Nimmt der Arbeitgeber ein bestimmtes Fehlverhalten des Arbeitnehmers zum Anlass für die Erteilung einer Abmahnung, dann gibt er zu erkennen, dass er dieses Verhalten noch nicht als ausreichend für eine Kündigung hält. Stellt er e...

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