Rz. 9

Zu den wohl spannendsten und am heftigsten diskutierten Entwicklungen der letzten Monate gehört die mögliche Absenkung der Promillegrenze von derzeit 1,6 ‰.

 

Rz. 10

Seit einer Entscheidung des VGH Baden-Württemberg[5] und später auch des Bayrischen VGH[6] wurde der § 13 S. 1 Nr. 2 Buchstabe c) FeV in einzelnen Bundesländern teilweise unterschiedlich ausgelegt. In der Folge wurde in den letzten Jahren vor allem in Baden-Württemberg und Bayern, aber auch einigen anderen Bundesländern, die MPU bei erstmals mit Alkohol aufgefallenen Fahrern konsequent bereits ab 1,1 ‰ angeordnet. Diese unterschiedliche Anordnungspraxis öffnete jedoch nicht nur dem innerdeutschen Führerscheintourismus Tür und Tor, sondern widersprach gleichzeitig dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Klienten. Daher war eine Vereinheitlichung der anordnungsrelevanten Promillegrenze dringend notwendig.

 

Rz. 11

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig hat am 6.4.2017 ein Urteil[7] zur Anordnung einer MPU ab 1,1 ‰ gesprochen und sich aus juristischer Sicht für die Beibehaltung der 1,6 ‰ als Anordnungsgrenze ausgesprochen. Dabei bezieht sich das BVerwG u.a. auf die Definition des fahrerlaubnisrechtlichen Begriffes "Alkoholmissbrauch", welcher § 13 S. 1 Nr. 2 zugrunde liegt. "Missbrauch" könne demnach angenommen werden bei:

Wiederholungstätern (Buchstabe b)
Ersttätern mit einer BAK von 1,6 ‰ und mehr (Buchstabe c).

Für Ersttäter mit unter 1,6 ‰ BAK kann demzufolge nur von Alkoholmissbrauch (und folglich einer anordnungsrelevanten Trunkenheitsfahrt) ausgegangen werden, wenn zusätzliche Tatsachen für die Annahme eines Alkoholmissbrauchs sprechen.

In der Urteilsbegründung heißt es hierzu:

Zitat

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, nach einer strafgerichtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB), die auf einer Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss beruht, sei im Wiedererteilungsverfahren unabhängig von der Blutalkoholkonzentration die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen [...]. Diese Auffassung ist mit § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d i.V.m. [sic] Buchst. a bis c FeV nicht vereinbar. Lag die Blutalkoholkonzentration unter 1,6 Promille, so bedarf es bei einer einmalig gebliebenen Zuwiderhandlung im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss zusätzlicher Tatsachen, die die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen. Die Entziehung der Fahrerlaubnis durch das Strafgericht genügt für sich gesehen nicht.

Und weiter:

Zitat

Der Verordnungsgeber hat 1998 auf der Grundlage seines damaligen Erkenntnisstands angenommen, dass von einem fehlenden Trennungsvermögen nach einer einmaligen Trunkenheitsfahrt erst bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr ohne weiteres auszugehen ist. Dass diese Annahme heute gänzlich unvertretbar wäre, ist nicht ersichtlich. Es ist Sache des Verordnungsgebers, diesen Grenzwert gegebenenfalls neu zu bestimmen. Wie der Vertreter des Bundesinteresses in Übereinstimmung mit dem für eine Verordnungsänderung zuständigen Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur mitgeteilt hat, prüft die Bundesanstalt für Straßenwesen, ob es gerechtfertigt ist, die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bereits nach einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille oder mehr zwingend vorzusehen.

 

Rz. 12

Die Urteilsbegründung stellt somit einerseits klar, dass ohne zusätzliche Tatsachen, die einen Alkoholmissbrauch begründen, bei einer Erstauffälligkeit unter 1,6 ‰ keine MPU angeordnet werden kann. Gleichzeitig verbindet das BVerwG damit einen Auftrag an den Verordnungsgeber, auf der Grundlage neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse den § 13 und die damit verbundene Anlage 4 zumindest zu überprüfen; insbesondere im Hinblick auf den Missbrauchsbegriff.

 

Rz. 13

Dennoch bleibt festzuhalten, dass nicht geklärt bzw. präzisiert ist, was mit "zusätzliche Tatsachen" gemeint ist, sodass sich hier im Einzelfall gegebenenfalls Anknüpfungspunkte für weitergehende juristische Auseinandersetzungen bieten.

 

Rz. 14

Aus verkehrspsychologischer Sicht stellt sich dabei zunächst die Frage, ob eine MPU-Anordnung ab 1,1 ‰ fachlich überhaupt sinnvoll und als relativ bedeutsamer Eingriff zur Erhöhung der Verkehrssicherheit zielführend ist.

 

Rz. 15

Wie den Ausführungen zur amtlichen Unfallstatistik (vgl. § 19 Rdn 145 ff.) entnommen werden kann, stellen Alkoholauffällige eine Hochrisikogruppe im Sinne der Gefährdung der Verkehrssicherheit dar. Dies wird u.a. durch die Schwere der Unfälle unter Alkoholeinfluss belegt.[8] Dabei muss zugleich berücksichtigt werden, dass mit zunehmendem Alkoholisierungsgrad gleichzeitig auch das Risiko, zu verunfallen, steigt – und zwar insbesondere ab 0,5 ‰ exponentiell.[9] Bereits ab 1,1 ‰ ist das Unfallrisiko 15-fach höher als bei einem nüchternen Fahrer.

 

Rz. 16

Auf der anderen Seite kann das Rückfallrisiko eines alkoholauffälligen Fahrers über Legalbewährungsstudien bestimmt werden. Dabei werden die auffälligen Fahrer nach einen be...

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