Rz. 98

Die "klassischen" Versicherungsfälle, die die grundsätzliche Leistungspflicht des Versicherers begründen, sind die vom Gericht festgestellten Insolvenzfälle. Das Insolvenzgericht beschließt entweder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, gegebenenfalls mit Eigenverwaltung, oder die Ablehnung mangels Masse oder die Annahme eines Schuldenbereinigungsplanes (§ 9 Ziff. 1 a, b AVB). Der Versicherungsfall gilt mit dem Tag des Gerichtsbeschlusses als eingetreten (§ 9 Ziff. 2 AVB).

 

Rz. 99

Die Antragsstellung auf Eröffnung des Verfahrens reicht für die Annahme des Versicherungsfalles nicht aus.[54]

 

Rz. 100

Der Versicherungsfall tritt auch mit dem Tag ein, an dem sämtliche Gläubiger einem außergerichtlichen Liquidations- oder Quotenvergleich zustimmen (§ 9 Ziff. 1, 2 AVB). Ebenso gilt der Tag als Eintritt des Versicherungsfalles, an dem die Fruchtlosigkeit der vom Versicherungsnehmer vorgenommenen Zwangsvollstreckung nicht zur vollen Befriedigung geführt hat (§ 9 Ziff. 1 d, 2 AVB).

 

Rz. 101

Da der Rechtsschutz im Ausland oftmals anderen Normen unterliegt, sind die Anforderungen bei der Realisierung notleidender Forderungen gegen ausländische Schuldner nicht so bestimmt wie im Inland. Gemäß § 9 Ziff. 1 e AVB AKV tritt der Versicherungsfall an dem Tag ein, an dem aufgrund entsprechenden Beweismaterials angenommen werden muss, dass infolge nachgewiesener ungünstiger Umstände eine Bezahlung aussichtslos erscheint, weil eine Zwangsvollstreckung, ein Insolvenzantrag oder eine andere gegen den Kunden gerichtete Maßnahme des Versicherungsnehmers keinen Erfolg verspricht.

 

Rz. 102

Die in § 9 AVB aufgeführten Versicherungsfälle sind enumerativ aufgezählt.[55] Seine eindeutige Formulierung verbietet eine erweiternde Auslegung.[56]

 

Rz. 103

Aufgrund der klaren Formulierungen sind andere Fälle der Zahlungsunfähigkeit keine Versicherungsfälle i.S.v. § 9 AVB. Der häufig vorkommende Fall, dass der Gerichtsvollzieher den Schuldner unter der angegebenen Adresse nicht vorfindet bzw. dass der insolvente Kunde unbekannt verzogen ist, ist kein Versicherungsfall.[57]

 

Rz. 104

Ebenso wenig liegt eine Zwangsvollstreckung i.S.d. § 9 AVB vor, wenn der Schuldner dem ersten Vollstreckungsversuch widersprochen hat und der zweite Versuch wegen "unbekannt verzogen" nicht durchgeführt werden konnte.[58]

Mit Einführung diverser Vorschriften in der ZPO zur Modernisierung der Sachaufklärung im Zwangsvollstreckungsverfahren zum 1.1.2013 ist es möglich, dass Gerichtsvollzieher erstmals auch von dritter Seite Informationen über die Vermögensverhältnisse von Schuldnern erhalten können, damit sie titulierte Forderungen erfolgreich beitreiben können.

Gleichzeitig wurde das Verfahren zur Abgabe der Vermögenserklärung (vormals "eidesstattliche Versicherung") modernisiert. Die Aufstellung der Vermögensgegenstände des Schuldners (Vermögensverzeichnis) wird nun in jedem Bundesland von einem zentralen Vollstreckungsgericht landesweit elektronisch verwaltet. Zugriff auf diese Datenbank haben Gerichtsvollzieher, Vollstreckungsbehörden und weitere staatliche Stellen wie die Strafverfolgungsbehörden.

Vom Vermögensverzeichnis zu unterscheiden ist das neue Schuldnerverzeichnis, eine öffentliche Schuldner-Warndatei bei den zentralen Vollstreckungsgerichten, welche Auskunft über die Kreditwürdigkeit des Schuldners geben soll und deshalb grundsätzlich von Jedermann mit berechtigtem Interesse kostenpflichtig einsehbar ist.

Ergibt sich aus den vorgenannten Unterlagen bereits die amtlich festgestellte Vermögenslosigkeit des Schuldners, kann ein Zwangsvollstreckungsversuch zur Herbeiführung des Versicherungsfalls unter Umständen entfallen.

 

Rz. 105

Hat eine erfolglose Durchsuchung der Geschäftsräume stattgefunden, gilt die Zwangsvollstreckung als durchgeführt mit der Konsequenz, dass der Versicherungsfall eingetreten ist. Der Nachweis der Einkommens- und Vermögenslosigkeit des Schuldners ist nicht erforderlich.[59]

 

Rz. 106

Auch die Amtslöschung gem. § 141a FGG steht nicht unter Versicherungsschutz, weil dieses Verfahren nicht geeignet ist, die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners festzustellen.[60]

[54] LG Mainz, Urt. v. 19.12.1995 – 12 HO 145/95 – n.v.; zum Eintritt des Versicherungsfalles in Italien gem. § 9 AVB AKV vgl. BGH VersR 2002, 845 ff.
[55] BGH VersR 1997, 874 ff.; BGH VersR 1993, 223 ff.; BGH VersR 1987, 68 ff.; OLG Koblenz VersR 2001, 582 f.
[56] OLG Koblenz, Urt. v. 18.6.1999 – 10 U 653/98 – n.v.
[57] OLG Koblenz VersR 2001, 583; OLG Koblenz r+s 1997, 86.
[58] LG Mainz, Urt. v. 23.1.1998 – 12 HO 121/97 – n.v.
[59] OLG Koblenz, Urt. v. 28.5.1999 – 10 U 65/98 – n.v.
[60] LG Frankfurt, Main, Urt. v. 26.6.2000 – 2/26022 – n.v.; OLG Düsseldorf ZIP 1979, 201; vgl. auch § 60 Abs. 1 Nr. 7 GmbHG.

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