Rz. 1

F verlangt von M nach vierjähriger Ehe im Rahmen der Scheidung nachehelichen Unterhalt. M hat ein bereinigtes Nettoeinkommen von 3.200 EUR. F hat aus einer (angemessenen) Vollzeittätigkeit ein bereinigtes Nettoeinkommen von 1.600 EUR. F hat während der Ehe ihre frühere Erwerbstätigkeit aufgegeben, ist mittlerweile aber wieder erwerbstätig. F hätte ohne Eheschließung heute nicht mehr als 1.500 EUR netto. F verlangt von M, der 2 Jahre lang Trennungsunterhalt gezahlt hat, Geschiedenenunterhalt.

I. Anspruchsgrundlage

 

Rz. 2

Es kommt hier nur ein Aufstockungsunterhalt in Betracht. Allgemein zum Ehegattenunterhalt siehe Fall 15, § 3 Rdn 1 ff.

 

§ 1573 Unterhalt wegen Erwerbslosigkeit und Aufstockungsunterhalt

(1) Soweit ein geschiedener Ehegatte keinen Unterhaltsanspruch nach den §§ 1570 bis 1572 hat, kann er gleichwohl Unterhalt verlangen, solange und soweit er nach der Scheidung keine angemessene Erwerbstätigkeit zu finden vermag.

(2) Reichen die Einkünfte aus einer angemessenen Erwerbstätigkeit zum vollen Unterhalt (§ 1578) nicht aus, kann er, soweit er nicht bereits einen Unterhaltsanspruch nach den §§ 1570 bis 1572 hat, den Unterschiedsbetrag zwischen den Einkünften und dem vollen Unterhalt verlangen.

(3) Absätze 1 und 2 gelten entsprechend, wenn Unterhalt nach den §§ 1570 bis 1572, 1575 zu gewähren war, die Voraussetzungen dieser Vorschriften aber entfallen sind.

(4) Der geschiedene Ehegatte kann auch dann Unterhalt verlangen, wenn die Einkünfte aus einer angemessenen Erwerbstätigkeit wegfallen, weil es ihm trotz seiner Bemühungen nicht gelungen war, den Unterhalt durch die Erwerbstätigkeit nach der Scheidung nachhaltig zu sichern. War es ihm gelungen, den Unterhalt teilweise nachhaltig zu sichern, so kann er den Unterschiedsbetrag zwischen dem nachhaltig gesicherten und dem vollen Unterhalt verlangen.

II. Bedarf der F

 

Rz. 3

Der Bedarf bestimmt sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 BGB). Es gilt der Halbteilungsgrundsatz. Unter Berücksichtigung des 10 %igen Erwerbstätigenbonus betragen das bedarfsbestimmende Einkommen des M 2.880 EUR (3.200 – 320 EUR), das bedarfsbestimmende Einkommen der F 1.440 EUR (1.600 – 160 EUR). Der Gesamtbedarf von M und F beläuft sich somit auf 4.320 EUR (2.880 + 1.440 EUR).

Der Halbanteil und damit der Einzelbedarf der F beträgt somit 2.160 EUR.

III. Bedürftigkeit der F

 

Rz. 4

F kann ihren ermittelten Bedarf von 2.160 EUR durch Eigeneinkommen in Höhe von 1.440 EUR decken. Weiteres, nicht eheprägendes Einkommen ist nicht hinzugekommen. Es verbleibt somit ein ungedeckter Bedarf in Höhe von 720 EUR (2.160 – 1.440 EUR).

IV. Leistungsfähigkeit des M

 

Rz. 5

M bleiben nach Zahlung von 720 EUR Unterhalt noch 2.480 EUR, also weit mehr als der Ehegattenmindestselbstbehalt von 1.280 EUR.

V. Sonderfragen, insb. Herabsetzung und Befristung

 

Rz. 6

Neben bspw. Verwirkung, Verzug, Mangelverteilung und Rangfragen sind an letzter Stelle – abgesehen von einer abschließenden allgemeinen Angemessenheitsprüfung – die Herabsetzung und Befristung des Unterhalts (§ 1578b BGB) zu prüfen.

Es stellt sich die Frage: ist die Fortdauer eines Unterhaltsanspruchs von 720 EUR unbillig[1] i.S.v. § 1578b BGB?

[1] Für eine vollständige Überarbeitung des Unterhaltsrechts in diesem Bereich plädiert Schürmann, Der Topos von der "nachehelichen Solidarität" und seine Grenzen, NZFam 2020, 837, 842, der zu Recht darauf hinweist, dass das Gesetz die Entscheidung über Angemessenheit und Billigkeit allein den subjektiv beeinflussten Gerechtigkeitsvorstellungen der einzelnen Richterinnen und Richter überantwortet.

1. Ausgangspunkt für die Überlegungen zur Begrenzung: Grundsatz der Eigenverantwortung

 

Rz. 7

Grundsatz der Eigenverantwortung

 

Begründung des Gesetzentwurfes A II:

"Die Ausweitung der Möglichkeit, nacheheliche Unterhaltsansprüche zeitlich oder der Höhe nach zu begrenzen, soll die Chancen für einen Neuanfang nach einer gescheiterten Ehe erhöhen und die Zweitfamilien entlasten."

Begründung des Gesetzentwurfs B, zu Artikel 1, zu Nummer 3, zu Satz 2:

 

"Besondere Bedeutung erlangt der Grundsatz der Eigenverantwortung auch bei der Auslegung von § 1578b des Entwurfes: Das Prinzip der Eigenverantwortung führt dazu, dass im konkreten Fall ein Unterhaltsanspruch – unter Wahrung der Belange eines gemeinschaftlichen, vom Berechtigten betreuten Kindes – umso eher beschränkt werden kann, je geringer die ehebedingten, auf der Aufgabenverteilung während der Ehe beruhenden Nachteile sind, die beim unterhaltsberechtigten Ehegatten infolge der Scheidung eintreten."

2. Inhalt des § 1578b

 

Rz. 8

Zum 1.3.2013 wurde § 1578b in Abs. 1 S. 2 und 3 geändert. Die Ehedauer wurde in Satz 2 des Absatz 1 ausdrücklich als weiterer Billigkeitsmaßstab aufgenommen. Dadurch wurde die Nennung der Ehedauer im Zusammenhang mit den ehebedingten Nachteilen in Satz 3 entbehrlich. § 1578b lautet:

 

§ 1578b BGB Herabsetzung und zeitliche Begrenzung des Unterhalts wegen Unbilligkeit

(1) Der Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten ist auf den angemessenen Lebensbedarf herabzusetzen, wenn eine an den ehelichen Lebensverhältnissen orientierte Bemessung des Unterhaltsanspruchs auch unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur Pflege oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes unbillig wäre.

Dabei ist...

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