Rz. 86

Die Grundentscheidung des BGH: Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urt. v. 11.2.2004[55] das Spannungsverhältnis zwischen der grundsätzlichen Disponibilität der Scheidungsfolgen einerseits und dem nicht akzeptablen unterlaufen des Schutzzweckes der gesetzlichen Regelungen durch vertragliche Vereinbarungen andererseits aufgezeigt. Eine unzumutbare Lastenverteilung sei umso eher gegeben, je mehr die vertragliche Abbedingung der gesetzlichen Regelungen in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreife.

 

Rz. 87

Zu diesem Kernbereich gehören in erster Linie der Betreuungsunterhalt, danach aber auch Krankheitsunterhalt (§ 1572 BGB) und Unterhalt wegen Alters (§ 1571 BGB). Die Unterhaltspflicht wegen Erwerbslosigkeit (§ 1573 BGB) sei demgegenüber nachrangig, da "das Gesetz das Arbeitsplatzrisiko ohnehin auf den Berechtigten verlagert, sobald dieser einen nachhaltig gesicherten Arbeitsplatz gefunden hat".[56] Ihr folgten Krankenvorsorge- und Altersvorsorgeunterhalt. Am ehesten verzichtbar erschienen Ansprüche auf Aufstockungs- und Ausbildungsunterhalt, "da diese Unterhaltspflichten vom Gesetz am schwächsten ausgestaltet und nicht nur der Höhe (vgl. § 1578 Abs. 1 S. 2 BGB), sondern auch dem Grunde nach zeitlich begrenzbar" seien.[57]

 

Rz. 88

Der BGH nimmt damit eine Rangabstufung bereits innerhalb der nachehelichen Unterhaltstatbestände vor und baut damit eine Prüfungsreihenfolge auf, die im Anschluss eine Gesamtschau ermöglichen soll.[58]

Der BGH differenziert weiter zwischen den Bereichen nachehelicher Unterhalt, Versorgungsausgleich und Zugewinn in der Weise, dass der Versorgungsausgleich auf derselben Stufe rangiert wie der Altersunterhalt.

Demgegenüber erweise sich der Zugewinnausgleich ehevertraglicher Disposition am weitesten zugänglich. Die eheliche Lebensgemeinschaft sei nicht notwendig auch eine Vermögensgemeinschaft. Das Eheverständnis erfordere keine bestimmte Zuordnung des Vermögenserwerbs in der Ehe.[59]

Der BGH konkretisiert damit den Grundsatz, dass eine Gesamtschau der getroffenen Vereinbarungen, der Gründe ihres Zustandekommens sowie der beabsichtigten und verwirklichten Gestaltung des ehelichen Lebens notwendig ist.[60]

 

Rz. 89

Die Rechtsprechung des BGH ist insgesamt wie folgt strukturiert:

Objektive Seite
Subjektive Seite
Gesamtbetrachtung
Konsequenz

Für die objektive Seite ist die Wertigkeit des Rechts maßgebend, auf das verzichtet oder das sonst geschmälert wird. Eine Beanstandung ist danach umso eher anzunehmen, je mehr die Vereinbarung in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreift.

 

Rz. 90

Zur Stufenprüfung (Kernbereichslehre) im Einzelnen:

 
1. Stufe: Unterhalt wegen Kindesbetreuung gem. § 1570 BGB; grundsätzlich unverzichtbar;
2. Stufe: Alters- und Krankheitsunterhalt gem. §§ 1571, 1572 BGB sowie als vorweggenommener Altersunterhalt der Versorgungsausgleich: ebenfalls hochrangige Einstufung, aber vertraglichen Regelungen zugänglich, besonders bei Ehe- und Vertragsschluss von Ehegatten in fortgeschrittenem Alter mit gesicherter Lebensstellung, bei einer Ehe von kurzer Dauer zwischen wirtschaftlich eigenständigen jüngeren Eheleuten oder dann, wenn die Krankheit bereits bei Eheschließung vorhanden war;[61]
3. Stufe: Versorgungsausgleich;[62]
4. Stufe: Unterhalt wegen Erwerbslosigkeit nach § 1573 Abs. 1 u. Abs. 4 BGB; eher disponibel, weil schon § 1573 Abs. 4 BGB das Risiko der Erwerbslosigkeit auf den Berechtigten verlagert;
5. Stufe: Krankenvorsorge- und Altersvorsorgeunterhalt: disponibel; Ausnahme: Zuordnung zum Ausgleich ehebedingter Nachteile;[63]
6. Stufe: Die übrigen Unterhaltstatbestände wie Ausbildungs- (§ 1575 BGB) und Aufstockungsunterhalt (§ 1573 Abs. 2 BGB): am ehesten verzichtbar;[64]
7. Stufe: Weitgehende Vertragsfreiheit bei der Wahl des Güterstandes (Ausschluss des Zugewinnausgleichs) sowie hinsichtlich güterrechtlicher Vereinbarungen.[65]
 

Rz. 91

Neben den objektiven Folgen der Vereinbarung sind die von den Vertragschließenden verfolgten subjektiven Zwecke und Beweggründe zu berücksichtigten. Zur Prüfung gehört auch die Frage, ob die benachteiligte Vertragspartei wegen subjektiver Unterlegenheit eine erheblich schwächere Verhandlungsposition hatte,[66] z.B. aufgrund einer Zwangslage.[67] Eine Schwangerschaft reicht für sich allein genommen aber nicht aus, eine Nichtigkeit festzustellen, und zwar auch dann nicht, wenn der Pflichtige die Eheschließung vom Vertragsschluss abhängig macht. Indiziert wird aber eine Disparität bei Vertragsabschluss. Dies führt zwingend zu einer verstärkten richterlichen Inhaltskontrolle.[68] Allerdings hat der BGH in seinen neueren Entscheidungen die Sittenwidrigkeit von Eheverträgen weitgehend in den Hintergrund gedrängt.[69]

 

Rz. 92

Bei der Prüfung der Wirksamkeit von Eheverträgen sind zwei Prüfungskomplexe voneinander zu unterscheiden:

die Prüfung der Wirksamkeit des Vertrages bei Vertragsschluss (Wirksamkeitskontrolle) und
die Prüfung der Wirksamkeit des Vertrages bei Scheidung (Ausübungskontrolle).
 

Rz. 93

Zunächst ist die Prüf...

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