Rz. 64

Die Entwicklung der Rechtsprechung zu § 2287 BGB hat dazu geführt, dass die bindend bedachten Schlusserben praktisch nur noch selten gegen beeinträchtigende Verfügungen geschützt sind. Es ist für den Bedachten nämlich in den meisten Fällen möglich, ein lebzeitiges Eigeninteresse zu behaupten.

aa) Lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers

 

Rz. 65

Einer der häufigsten Einwände des Bedachten gegen den Anspruch aus § 2287 BGB ist, dass die Verfügung des Erblassers, der gegen die Bindungswirkung einer letztwilligen Verfügung verstoßen hat, gerechtfertigt sei, da der Erblasser erwartet habe, der Beschenkte werde sich angesichts der Schenkung um die Versorgung des Erblassers kümmern und ihn gegebenenfalls bei Alter und Krankheit pflegen. Für den BGH ist es ausreichend, dass die Versorgungsleistungen Geschäftsgrundlage geworden sind, auch wenn dies nicht ausdrücklich im Vertrag erwähnt worden ist.[107] Wenn nachgewiesen werden kann, dass für alle Beteiligten die Übernahme der Pflegeleistung Vertragsgrundlage war, liegt ein lebzeitiges Eigeninteresse vor.[108] Dagegen soll die bloße mündliche Anerkennung einer moralischen Verpflichtung, im Bedarfsfall für den Schenker zu sorgen, nicht für das Vorliegen eines lebzeitigen Eigeninteresses ausreichen.[109] Dieser Fall unterscheidet sich dadurch, dass der Beschenkte zwar auch eine zu erbringende Pflege übernommen hätte, aus seiner Sicht dies aber nicht Grund für die Übertragung durch den Erblasser war.

 

Rz. 66

Weitere Entscheidungen zu § 2287 BGB:

Die Absicht, den Bestand eines Unternehmens zu erhalten und dieses auf einen geeigneten Nachfolger zu übertragen, ist ein billigenswertes Eigeninteresse des Erblassers i.S.v. § 2287 BGB.[110]
Lebzeitiges Eigeninteresse liegt vor, wenn Hilfeleistung wie Gartenarbeit, Einkaufen, Haushaltsführung, handwerkliche Verrichtungen, Integration in die Familie von dem Beschenkten erbracht wird, der einen Teil der gemeinsam mit dem Erblasser bewohnten Immobilie geschenkt bekommt.[111]
Lebzeitiges Eigeninteresse liegt vor bei Übernahme von Winterdienst, Gartenpflege mit Rasenmähen, Heckenschnitt etc. sowie der Durchführung einer monatlichen Fahrt zum Großeinkauf im Zeitraum von über 20 Jahren, der Übernahme des wöchentlichen Besorgen des Haushalts (Putzen, Staubsaugen, Betten abziehen) nach der Erkrankung der Erblasserin, Übernahme der wöchentlichen Einkäufe und Botengänge für die Erblasserin sowie die Übernahme sämtlicher Fahrdienste.[112]
Lebzeitiges Eigeninteresse liegt vor, wenn eine Mutter an den Sohn nur schenkt, da dieser zuvor depressiv gewesen ist, seelische und finanzielle Unterstützung benötigte, Probleme hatte, eine angemessene Arbeit zu finden, die Mutter Angst um ihn gehabt hat und ihn hatte retten wollen. Ob das Geschenk wirtschaftlich notwendig war oder das gleiche Ziel (etwa durch ein Wohnrecht) auch "billiger" hätte erreicht werden können, ist nicht von entscheidender Bedeutung.[113]
Kein lebzeitiges Eigeninteresse an Alterssicherung liegt vor, wenn der 52-jährigen zweiten Ehefrau nach nur einem Ehejahr ein Grundstück übertragen wird, während der "undankbare" Sohn noch den Pflichtteil nach seiner nur wenige Jahre zuvor verstorbenen Mutter (und 1. Ehefrau des Erblassers) geltend macht. Hier war das Motiv der Alterssicherung aus Sicht des Gerichtes offensichtlich nur vorgeschoben.[114]
Lebzeitiges Eigeninteresse kann auch vorliegen, wenn der Beschenkte – ohne dazu rechtlich verpflichtet zu sein – Leistungen, etwa zur Betreuung im weiteren Sinne, übernimmt, tatsächlich erbringt und auch in der Zukunft vornehmen will. Hier kümmerte sich der Beschenkte um Haus, Garten, Einkäufe, Reinigung etc., damit die Erblasserin zu Hause wohnen bleiben konnte, obwohl dies nach dem Vertragstext des Übergabevertrags ausdrücklich nicht vereinbart und geschuldet war. Dies steht aus Sicht des BGH der Annahme eines anerkennenswerten lebzeitigen Eigeninteresses nicht entgegen. Hätte eine vertragliche Verpflichtung hierzu bestanden, hätte dies bereits das Vorliegen einer Schenkung i.S.d. § 2287 BGB ausgeschlossen.[115]
Lebzeitiges Eigeninteresse liegt vor, wenn einer der bindend bedachten Erben noch zu Lebzeiten des Erblassers so schwer erkrankt, dass er den Familienbetrieb, wie bei Errichtung des Erbvertrages beabsichtigt, nicht weiterführen kann, und deshalb dieser Betrieb noch zu Lebzeiten des Erblassers auf einen anderen Sohn übertragen wird, der einen geeigneten Nachfolger darstellt, damit der Betrieb in Familienbesitz bleibt.[116]

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