Rz. 61

Durch die alte Rechtsprechung des BGH[99] waren bindend bedachte Erben durch § 2287 BGB bestens geschützt. Unter dem Schlagwort "Testamentsaushöhlung" wurden Verfügungen des gebundenen Erblassers fast vollständig unmöglich gemacht. Widersprach die Verfügung dem wirtschaftlichen Ziel des Erbvertrages oder gemeinschaftlichen Testamentes, wurde diese entweder wegen Umgehung des Gesetzes gem. § 134 BGB oder wegen Verstoßes gegen die guten Sitten gem. § 138 BGB für nichtig erklärt. Dieser Schutz des Erben wird heute jedoch seit der Abkehr des BGH von der Aushöhlungsnichtigkeit insgesamt abgelehnt.[100]

 

Rz. 62

Die alte Rechtsprechung des BGH führte dazu, dass der gebundene Erblasser praktisch gar nicht mehr zu Lebzeiten über sein Vermögen verfügen konnte, obwohl § 2286 BGB dies gerade ermöglichen sollte.[101] Daher wurde sodann auf das subjektive Element der Beeinträchtigungsabsicht abgestellt. Nur wenn eine böswillige Schenkung vorlag, sollte § 2287 BGB gelten. Diese Einschränkung allein führte jedoch ebenfalls noch zu keinem wesentlich besseren Ergebnis. Denn durch das Vorliegen einer Schenkung wurde das Vorliegen der Beeinträchtigungsabsicht indiziert. Dadurch dass der Erblasser bewusst sein Vermögen durch eine Schenkung minderte, musste er sich der Beeinträchtigung des Erben bewusst sein, also mit entsprechender Absicht handeln.[102]

 

Rz. 63

Als weitere Korrektur wurde daher das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des lebzeitigen Eigeninteresses eingeführt, womit der BGH einen Missbrauch der Verfügungsmacht des § 2286 zu Lasten des bindend Bedachten prüft.[103] Danach schließt das Vorliegen eines vom Erben anzuerkennenden lebzeitigen Eigeninteresses des Erblassers an der beeinträchtigenden Verfügung die Beeinträchtigungsabsicht aus. Dabei ist das Eigeninteresse des Erblassers objektiv zu bewerten unter Berücksichtigung der jeweils gegebenen Umstände des Einzelfalls. Abzuwägen sind die Beweggründe des Erblassers für die beeinträchtigende Verfügung einerseits und die berechtigten Erberwartungen des bindend Bedachten andererseits. Dabei haben sich Fallgruppen entwickelt, bei deren Vorliegen grundsätzlich von einem lebzeitigen Eigeninteresse ausgegangen werden kann, z.B. wenn sich der Erblasser durch die Schenkung die Pflege bei Krankheit oder Alter sichern oder erhalten will.[104] Auch die Absicherung der Unternehmensnachfolge wird als anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse eingestuft.[105] Des Weiteren liegt ein anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse vor, wenn der Erblasser in der Erfüllung einer sittlichen Verpflichtung handelt, er etwa mit dem Geschenk einer Person, die ihm in besonderem Maße geholfen hat, seinen Dank ausdrücken will, aber auch, wenn es sich um eine Pflicht- oder Anstandsschenkung handelt, vergleichbar den in § 534 BGB normierten Gruppen, insbesondere gebräuchliche Gelegenheitsgeschenke z.B. zu Geburtstagen, zu Hochzeiten oder zu Weihnachten.[106]

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