Rz. 146

Das nachfolgende Fallbeispiel soll die praktische Umsetzung der Gestaltung bei einer Familie mit einem behinderten Kind darstellen.

 

Fallbeispiel

Die Eheleute E haben einen gemeinsamen Sohn S und eine gemeinsame Tochter T. Der Sohn ist geistig behindert und bewohnt eine Einrichtung für geistig Behinderte. Die Kosten werden vom Landschaftsverband getragen. Sowohl die Eltern als auch die Schwester engagieren sich ehrenamtlich für die Einrichtung und spenden regelmäßig an den Förderverein der Einrichtung. Von der Krankenkasse oder dem Landschaftsverband nicht getragene Therapiekosten zahlen sie regelmäßig selbst. Dies gilt auch für die Kosten von Reisen und Hobbies des behinderten Sohnes. Die Schwester ist gesetzliche Betreuerin des Bruders. Die Eheleute möchten sichergestellt wissen, dass der behinderte Sohn auch nach deren Tod jede sinnvolle Therapie erhält und insbesondere auch seinen Hobbies nachgehen kann. Die Eheleute E betreiben gemeinsam ein Handwerksunternehmen mit 25 Mitarbeitern in der Rechtsform einer GmbH. Beide sind Gesellschafter und Geschäftsführer. Zudem sind beide Eigentümer der selbst bewohnten Immobilie. Beim Tode des Erstversterbenden soll der überlebende Ehegatte zunächst sämtliche Vermögenswerte erhalten und darüber vollkommen frei verfügen können. Insbesondere in der GmbH muss die Handlungsfähigkeit nach dem Tode des Erstversterbenden sichergestellt sein. Nach dem Tode des Längstlebenden sollen die Tochter und der Sohn gemeinsam erben, wobei die Vermögenssubstanz möglichst für die Familie erhalten bleiben soll. Da die Tochter kein Interesse an dem Unternehmen hat, soll langfristig ein langjähriger und sehr qualifizierter Mitarbeiter das Unternehmen fortführen.

Nachfolgend wird eine geeignete Gestaltung für den oben beschriebenen Sachverhalt dargestellt. Es wird bewusst nur auf die für die Beteiligung von behinderten Angehörigen relevanten Punkte eingegangen.

a) Errichtung eines gemeinschaftlichen Testamentes

 

Rz. 147

Die Eheleute E sollten ein gemeinschaftliches Testament errichten. Aufgrund der GmbH-Beteiligung und der Immobilie bietet sich die notarielle Beurkundung an, da dann kein Erbschein benötigt wird. Wirksam ist aber auch ein privatschriftliches Testament.

b) Wechselseitige Erbeinsetzung bei Erstversterben

 

Rz. 148

Die Eheleute E sollten sich zunächst wechselseitig zu Alleinerben einsetzen. Abweichend von der früher üblichen Gestaltung sollte der behinderte Sohn nicht auch zum Vorerben eingesetzt werden, da die dann entstehende Erbengemeinschaft zwischen dem überlebenden Ehegatten und dem behinderten Sohn nicht dem Wunsch der Eheleute E nach möglichst geringen Einschränkung des überlebenden Ehegatten entspricht. Stattdessen erhält der behinderte Sohn ein Vorvermächtnis mindestens in der Höhe seines Pflichtteils. Seit dem Urteil des BGH vom 19.1.2011 und der klaren Anmerkung bzw. Empfehlung von Roland Wendt dürfte diese Gestaltung als vom BGH "abgesegnet" gelten.

 

Rz. 149

Muster 2.10: Wechselseitige Einsetzung der Eheleute zu Alleinerben beim Behindertentestament

 

Muster 2.10: Wechselseitige Einsetzung der Eheleute zu Alleinerben beim Behindertentestament

Der Erstversterbende von uns beruft den überlebenden Ehegatten zu seinem unbeschränkten Alleinerben.

c) Längstlebende setzt beide Kinder zu Erben ein

 

Rz. 150

Der Längstlebende setzt die beiden Kinder zu gemeinschaftlichen Erben ein, wobei der behinderte Sohn nur Vorerbe wird.

 

Rz. 151

Muster 2.11: Einsetzung der Kinder als Erben mit Vorerbenstellung des behinderten Kindes

 

Muster 2.11: Einsetzung der Kinder als Erben mit Vorerbenstellung des behinderten Kindes

Der Längstlebende von uns und für den Fall, dass wir beide gleichzeitig oder kurz nacheinander aufgrund des gleichen Ereignisses versterben, ein jeder von uns, beruft zu seinen Erben unseren behinderten Sohn S und unsere Tochter T. Unser behinderte Sohn S ist allerdings nur nicht befreiter Vorerbe. Der Nacherbfall tritt mit dem Tod des Vorerben ein. Nacherbin ist unsere Tochter T, ersatzweise deren Abkömmlinge nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge.

d) Vorvermächtnis für behinderten Sohn S

 

Rz. 152

Beim Tode des erstversterbenden Ehegatten muss der behinderte Sohn S bereits ein Vorvermächtnis mindestens in Höhe des Pflichtteils erhalten, da der Sozialhilfeträger sonst den Pflichtteilsanspruch des Sohnes auf sich überleiten und geltend machen könnte. Zudem sollte immer ein Vorvermächtnis in Höhe eines möglichen Pflichtteilsergänzungsanspruchs angeordnet werden, weil lebzeitige Vermögensübertragungen in der Familie nie ausgeschlossen werden können.

 

Rz. 153

Muster 2.12: Vorvermächtnis zugunsten des behinderten Kindes

 

Muster 2.12: Vorvermächtnis zugunsten des behinderten Kindes

Vermächtnis

(1) Unser behinderter Sohn S erhält bereits beim Tode des erstversterbenden Ehegatten ein Vermächtnis in Höhe von 110 % des Wertes seines sich sonst ergebenden Pflichtteilsanspruches.

(2) Ein jeder von uns ordnet unabhängig von der Reihenfolge unseres Versterbens für den Fall, dass unserem behinderten Sohn bei einem der beiden Erbfälle im Hinblick auf lebzeitige Zuwendungen des jeweiligen Erblassers an eine andere Person Pflichtteilsergänzungsansprüche zustünden, als weiteres Vorausvermäch...

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