(a) Verletzung der Mutter vor Schwangerschaft
Rz. 332
Dem geschädigt zur Welt gekommenen Kind (z.B. Infektion [wie Hepatitis, Aids] der Kindesmutter vor Zeugung) stehen selbst dann zivilrechtlich Ansprüche zu, wenn es zur Zeit der gegen seine Mutter begangenen Verletzungshandlung noch nicht einmal als Leibesfrucht existent war.[286]
Rz. 333
Anderes gilt im Fall des § 12 SGB VII. Ansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung bestehen i.d.R. nicht.
(b) Gesetzliche Unfallversicherung
Rz. 334
Wird der Nasciturus anlässlich einer unfallversicherten Tätigkeit der Mutter verletzt (z.B. anlässlich eines Arbeits- oder Arbeitswegeunfalls, aber auch im Fall des § 11 SGB VII), ist auch die Leibesfrucht durch die gesetzliche Unfallversicherung geschützt.
Rz. 335
Ein unfallkausal behindert zur Welt kommende Kind erhält Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 12 SGB VII; § 30 Abs. 1 S. 2 BeamtVG).[287] Das gilt allerdings nicht für Schädigungen des Kindes, die auf vor der Zeugung eingetretene Ereignisse (z.B. Berufserkrankung; infizierte Blutkonserve) zurückzuführen sind.[288]
Rz. 336
Eine die Mutter erfassende Haftungsprivilegierung erstreckt sich auch auf den Nasciturus (§§ 104 Abs. 2, 105 Abs. 1 S. 3 SGB VII). Die Regressnahme nach § 110 SGB VII umfasst dann die Aufwendungen für das überlebend, aber krank, geborene Kind. Gleiches gilt im Beamtenrecht (§ 46 BeamtVG).[289]
(c) Mitverantwortung der Mutter
Rz. 337
Der unmittelbare Gesundheitsschaden eines Dritten kann durch Verletzung einer anderen Person vermittelt werden (z.B. Infektion in der Schwangerschaft).[290] Dem infolge einer Verletzung seiner Mutter mit einem Gesundheitsschaden zur Welt gekommenen Kind (Nasciturus) stehen eigene Ersatzansprüche zu.[291] Trifft die Schwangere an dieser Situation eine Mitverantwortung, sind die Ansprüche des überlebend geborenen Nasciturus in der gleichen Weise beschränkt wie die Ansprüche seine Mutter.[292] Der Nasciturus ist vor der Geburt keine "dritte Person" i.S.d. der Schadenersatzvorschriften, sondern identisch mit seiner Mutter. Gegenüber einem Arzt oder einer anderen, von außen kommenden, schädigenden Person bilden Mutter und (später geschädigt, aber lebend zur Welt gekommenes) Kind eine Einheit und sind gemeinsam "Dritte" i.S.d. Schadenersatzvorschriften.[293]
Rz. 338
Eine Haftungseinheit (dazu näher Rdn 340 ff.) kommt anspruchsmindernd nur in Betracht, wenn Handlungen zweier (prinzipiell handlungsfähiger)[294] Personen zu einer Einheit verschmelzen; sie kommt bei Kindern aber nur dann in Betracht, wenn diese bereits deliktsfähig sind. Der Fötus ist aber noch keine "Person", sondern bis zur Geburt Teil einer Person (Mutter). Die Ausgestaltung mit passiven Rechten[295] im Einzelfall dient dabei der materiellen Sicherung für spezielle rechtliche Sondersituationen. Folgt man (zu recht) dem OLG Koblenz,[296] das vor der Geburt Mutter und Leibesfrucht als Einheit im haftungsrechtlichen Sinne (nicht: Haftungseinheit) sieht, führt die Mitverantwortung der Mutter zum Schadengrund und/oder zur Schadenhöhe zu einer unmittelbaren Anspruchskürzung auch der Direktansprüche des überlebenden, aber geschädigt Geborenen, selbst wenn man den Unterhaltsmehraufwand als – dann dort zu kürzende – Anspruchsmöglichkeit der Eltern darstellt.[297]
Rz. 339
Als Schädigungshandlung der Mutter kommen neben einem mitverschuldeten Unfall auch Nikotingenuss,[298] Rauschmittelmissbrauch, Alkoholabusus, fehlgeschlagener Suizid oder fehlgegangener Abtreibungsversuch in Betracht. Handlungen und vorwerfbare Unterlassungen Dritter (wie Unfallgegner, Arzt) können parallel zum Schadenseintritt beim Kind beitragen. Im Anschluss an ein Unfallgeschehen können auch unterlassene Untersuchungen Mitverantwortlichkeiten begründen.
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