Rz. 445

§ 95a UrhG spricht das Verbot der Umgehung wirksamer technischer Maßnahmen aus (Abs. 1). Dabei kommt es auf die verwendete Technologie nicht an, miterfasst sind also auch software-implementierte Schutzmaßnahmen. Verlangt wird Umgehungsabsicht, obwohl solch ein subjektives Element für einen objektiven Unterlassungsanspruch gem. § 97 Abs. 1 UrhG nicht verlangt wird. Technische Maßnahmen sind definiert als Technologien, Vorrichtungen und Bestandteile, die im normalen Betrieb dazu bestimmt sind, geschützte Werke oder andere nach diesem Gesetz geschützte Gegenstände betreffende Handlungen, die vom Rechtsinhaber nicht genehmigt sind, zu verhindern oder einzu­schränken. Hinsichtlich des Merkmals "wirksam" wird darauf abgestellt, dass es eine Zugangskontrolle, einen Schutzmechanismus wie Verschlüsselung, Verzerrung oder sonstige Umwandlung oder einen Mechanismus zur Kontrolle der Vervielfältigung geben muss (Abs. 2).[652] Unter diese Verbotsnorm fallen auch vorbereitende Handlungen wie etwa die Herstellung, die Einfuhr, die Verbreitung,[653] der Verkauf oder die Vermietung und der gewerblichen Zwecken dienende Besitz von Vorrichtungen, Erzeugnissen oder Bestandteilen, die Erbringung von Dienstleistungen und schließlich verkaufsfördernde Maßnahmen,[654] die auf Umgehungshandlungen gerichtet sind (Abs. 3).[655] Ausgenommen sind Handlungen, die im Zusammenhang mit Aufgaben und Befugnissen öffentlicher Stellen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit oder der Strafrechtspflege stehen (Abs. 4).[656] Ergänzt wird Abs. 4 in Umsetzung von Art. 8 Abs. 2 DSM-RL dadurch, dass es Kulturerbe-Einrichtungen erlaubt wird, technische Schutzmaßnahmen zu überwinden, um den Zugang zu nicht mehr verfügbaren Werken tatsächlich zu ermöglichen. Allerdings müssen die Voraussetzungen des § 61d UrhG vorliegen. Es darf also keine repräsentative Verwertungsgesellschaft existieren, die dann gem. §§ 51 ff. VGG lizenzieren könnte. In der Gesetzesbegründung ist der Fall aufgeführt, dass eine Einrichtung des Filmerbes ein nicht mehr verfügbares Filmwerk vervielfältigen und öffentlich zugänglich machen will, das nur noch auf einer kopiergeschützten DVD in ihrem Bestand vorhanden ist. Dann greift dieser Ausnahmetatbestand.[657]

§ 69f UrhG enthält eine entsprechende Regelung für nicht mehr verfügbare Computerprogramme.

 

Rz. 446

 

Hinweis

Inzwischen hat das Bundesverfassungsgericht[658] sich mit der Verfassungsmäßigkeit der § 95a Abs. 1 und 3 sowie § 95b Abs. 1 Nr. 6 UrhG beschäftigt. Der Kläger trug vor, dass es ihm nicht mehr möglich sei, eine Sicherungskopie der von ihm rechtmäßig erworbenen CDs und DVDs, die mit einer Verschlüsselung versehen seien, zu fertigen. Dies stelle einen Eingriff in das Eigentumsgrundrecht dar. Die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen. Eine Grundrechtsverletzung wurde unter anderem deshalb abgelehnt, weil durch die Einführung der angefochtenen Vorschriften für den Beschwerdeführer keine substanzielle Änderung eingetreten sei. Insbesondere unterlägen Selbsthilfemaßnahmen zur Umgehung des Kopierschutzes lediglich für private Zwecke keiner Strafandrohung. Tatsächlich nehmen § 108b Abs. 1 und § 111a Abs. 1 Nr. 1a UrhG die Umgehung des Kopierschutzes zum eigenen privaten Gebrauch von straf- und bußgeldrechtlichen Sanktionen aus.

 

Rz. 447

In diesem Zusammenhang sei auch auf das "Gesetz über den Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten" vom 19.3.2002[659] (Zugangskontrolldiensteschutz-Gesetz – ZKDSG) verwiesen, das im Falle (ausschließlich) entgeltlich erbrachter Rundfunkdarbietungen, Tele- und Mediendienste vor technischen Verfahren schützt, die eine unerlaubte Nutzung dieser Inhalte ermöglichen.

 

Rz. 448

Dies soll dadurch erreicht werden, dass die Verbreitung von "Umgehungsvorrichtungen" verboten wird, worunter etwa Software und Chipkarten zur rechtswidrigen Entschlüsselung verschlüsselter Inhalte zählen (man spricht von "Lex Premiere"). Die Verbotstatbestände beziehen sich allerdings nur auf die gewerbsmäßige Umgehung von Zugangskontrolldiensten und sind schon von daher lückenhaft.[660]

 

Rz. 449

 

Hinweis

Zu den Rechtsfolgen äußert sich § 95a UrhG nicht. Nach überwiegender Meinung ist die Verletzung dieser Norm nicht durch § 97 UrhG, sondern im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB (als Schutzgesetz) i.V.m. § 1004 BGB analog geltend zu machen.[661]

[652] Zu den Anforderungen an zulässige Schutzmaßnahmen für Videospiele BGH v. 27.11.2014 – I ZR 124/11, GRUR 2015, 672.
[653] Verbreiten ist nicht nur auf die körperliche Verwertung beschränkt (wie in § 17 UrhG), sondern bezieht sich auch auf unkörperliche Werke, z.B. im Internet; vgl. Wandtke/Bullinger/Wandtke/Ohst, Urheberrecht, § 95a Rn 74.
[654] Der BGH v. 14.10.2010 – I ZR 191/08, GRUR 2011, 513 (AnyDVD) hat entschieden, dass die Verlinkung auf den Auftritt eines Unternehmens, das Antikopierschutz-Software anbietet, seinem übrigen Inhalt nach dem Schutz der Presse- und Meinungsfreiheit unterfällt, nicht verboten ist. Die dagegen gerichtete...

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