Rz. 541

Nach § 823 Abs. 2 S. 2 BGB tritt eine Ersatzpflicht nur ein, wenn ein Schutzgesetz schuldhaft verletzt wurde. Dies bedeutet, dass nur hinsichtlich der Verletzung des Schutzgesetzes Vorsatz oder Fahrlässigkeit vorliegen muss, nicht aber bezüglich der Verletzung des betreffenden Rechtsguts, soweit dies nicht zur Tatbestandserfüllung des Schutzgesetzes gehört. Maßgeblich ist jeweils die im Schutzgesetz geforderte Schuldform. Ist danach nur ein vorsätzliches Verhalten verboten, so ist dies auch Haftungsvoraussetzung.[1646] Ist das Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 S. 1 StGB eine Strafnorm, so muss der Vorsatz nach strafrechtlichen Maßstäben beurteilt werden. Dies gilt auch, falls das verletzte Schutzgesetz selbst keine Strafnorm ist, seine Missachtung aber unter Strafe gestellt wird. Führt ein unvermeidbarer Verbotsirrtum gemäß § 17 S. 1 StGB zur Schuldlosigkeit, so schließt dies auch eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB aus.[1647]

Setzt das Schutzgesetz kein Verschulden voraus, so muss der Täter, um zu haften, gemäß § 823 Abs. 2 S. 2 BGB wenigstens fahrlässig gehandelt haben.

 

Rz. 542

Für den Verschuldensbegriff ist das Schutzgesetz maßgebend. Nur dann, wenn nach dem Inhalt des Schutzgesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich ist, muss ein Verschulden im zivilrechtlichen Sinne gegeben sein. Bei strafrechtlichen Bestimmungen kommt es demgemäß darauf an, ob der Vorsatz im strafrechtlichen Sinne gegeben ist. Genügt es nach der strafrechtlichen Norm, dass der Täter neben der Kenntnis der einzelnen Tatbestandsmerkmale und neben dem Wollen des Erfolgs das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit hätte haben können, dann entfällt eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB nicht deshalb, weil der Täter das Unrechtsbewusstsein tatsächlich nicht gehabt hat, sondern es lediglich hätte haben können.[1648]

 

Rz. 543

§ 823 Abs. 2 BGB bedeutet eine Erleichterung der Verschuldensfeststellung, weil schon die bloße Voraussehbarkeit der Übertretung eines Schutzgesetzes ein Verschulden begründet;[1649] dagegen bedarf es nicht des Nachweises der Voraussehbarkeit eines dadurch entstandenen Schadens.[1650] Der Schädiger braucht die konkreten Folgen seines Handelns nicht vorauszusehen.[1651] Das Verschulden wird vermutet, wenn objektiv eine Verletzung eines Schutzgesetzes erwiesen ist. Sache des Schädigers ist es zu beweisen, dass er alles getan hat, um einen Verstoß gegen das Schutzgesetz zu vermeiden.[1652] Voraussetzung ist, dass das Schutzgesetz das geforderte Verhalten so konkret umschreibt, dass die Verwirklichung des objektiven Tatbestands den Schluss auf die Schuld nahe legt.[1653] Beschränkt sich das Schutzgesetz dagegen darauf, einen bestimmten Verletzungserfolg zu verbieten, so löst die bloße Verwirklichung einer solchen Verbotsnorm keine Indizwirkung in Bezug auf das Verschulden aus. Der Schädiger muss sich über das Bestehen eines Schutzgesetzes informieren.[1654] Die Beauftragung eines tüchtigen Fachmannes genügt aber im Allgemeinen, um den Schädiger zu entschuldigen, da er erwarten kann, dass ein solcher Fachmann sich selbst mit den geltenden Bestimmungen vertraut macht. So genügt es z.B. im Rahmen eines Baues, einen sorgfältig ausgewählten Handwerker zu beauftragen, der sich dann seinerseits über die gehenden Baubestimmungen vergewissern muss.[1655] Der Bundesgerichtshof lehnt insoweit die strengere Auffassung des Reichsgerichts ab.[1656] In solchen Fällen kann daher bei Unkenntnis des Schutzgesetzes ein Verschulden entfallen.

 

Rz. 544

Die Deliktsfähigkeit bestimmt sich nach §§ 827 f. BGB, nicht nach der strafrechtlichen Schuldfähigkeit. Auch ist ein Strafantrag nicht Voraussetzung für eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. der Verletzung einer Strafrechtsnorm, die Schutzgesetzcharakter hat, ferner hindert auch nicht der Eintritt der strafrechtlichen Verjährung die zivilrechtliche Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs.[1657]

[1646] BGH, NJW 1962, 920.
[1648] BGH, NJW 1962, 910 m. Anm. Katholnigg, NJW 1962, 1293.
[1649] RGZ 113, 293.
[1650] BGHZ 57, 137, 143.
[1651] RGZ 66, 251; 145, 116, RG, HRR 1935, 171.
[1652] BGHZ 116, 104, 114.
[1653] BGH, Beschl. v. 17.1.1984 – VI ZR 35/83, VersR 1984, 270.
[1654] RG LZ 1916, 1240 Nr. 11.
[1655] RGZ 76, 263; BGH VersR 1956, 190.
[1656] RGZ 132, 51 = JW 1931, 2629.
[1657] Staudinger/Hager, Neubearbeitung 2009, § 823 BGB G Rn 36 m.w.N.

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