Rz. 277

Wer eine besondere Gefahrenlage schafft, muss die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern.[616] Haftungsgrund ist der Gesichtspunkt der Ingerenz. Auch diese Fallgruppe überschneidet sich in weiten Teilen mit der Bereichshaftung und der Eröffnung eines Verkehrs. Eine besondere Gefahrenlage schafft beispielsweise ein Handwerker, der eine gefährliche provisorische Vorrichtung auf einem Bau errichtet, ohne dafür zu sorgen, dass andere Personen, die den Bau betreten müssen, nicht in Gefahr geraten.[617] Ein Veranstalter einer Demonstration, die auf das öffentliche Anheizen von Emotionen angelegt und bei der die Anwendung von Gewalt sehr wahrscheinlich ist, kann unter dem Gesichtspunkt der Ingerenz zu Vorkehrungen zum Schutz Dritter verpflichtet sein.[618] Gleiches gilt für einen Kraftwerksbetreiber, wenn die in der Nähe befindlichen Straßen durch Wasserdampfniederschlag vereisen können.[619] Eine Stadt, die eine Straßenlaterne nachts abschaltet, schafft damit eine besondere Gefahrenlage; sie muss daher entweder das Zeichen 394 (Lfd. Nr. 38 Anlage 3 zu § 42 Abs. 2 StVO) anbringen oder für anderweitige Beleuchtung der abgestellten Fahrzeuge sorgen[620], da ein Kraftfahrer ohne entsprechenden Hinweis darauf vertrauen darf, dass die Laterne die ganze Nacht hindurch brennen wird und er deshalb sein Fahrzeug ohne Eigenbeleuchtung unter einer Laterne abstellen darf. Ein Verkehrsteilnehmer, der eine besondere Gefahrenlage durch verloren gegangene Ladung oder Ölverlust schafft, haftet ebenfalls eigenständig neben dem zuständigen Straßenbaulastträger.

[616] Vgl. RG, Urt. v. 6.11.1940 – VI 67/40, RGZ 165, 155, 157 ff.; BGH, Urt. v. 21.2.2018 – VIII ZR 255/16, NJW-RR 2018, 726 Rn 25 f.; Urt. v. 11.2.2020 – VI ZR 286/19, juris Rn 14.
[617] BGH, Urt. v. 4.5.1956 – VI ZR 52/55, NJW 1956, 1276.
[618] OLG Karlsruhe, Urt. v. 23.6.1978 – 10 U 220/77, Justiz 1978, 362; OLG Karlsruhe, Urt. v. 8.8.1980 – 10 U 194/79, Justiz 1980, 437.
[619] OLG Köln, Urt. v. 23.11.1994 – 2 U 91/94, VersR 1995, 674 (675).
[620] BGH, Urt. v. 21.12.1961 – III ZR 152/60, BGHZ 36, 237 (243).

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