Rz. 307

Die winterliche Räum- und Streupflicht beruht auf der Verantwortlichkeit durch Verkehrseröffnung und setzt eine konkrete Gefahrenlage, d. h. eine Gefährdung durch Glättebildung bzw. Schneebelag voraus. Grundvoraussetzung für die Räum- und Streupflicht auf Straßen oder Wegen ist das Vorliegen einer "allgemeinen Glätte" oder das Vorliegen von erkennbaren Anhaltspunkten für eine ernsthaft drohende Gefahr aufgrund vereinzelter Glättestellen.[731] Sie bildet einen Unterfall der allgemeinen Verkehrspflicht.[732] Bestehen jedoch wie in allen Bundesländern Straßengesetze oder andere Vorschriften des öffentlichen Rechts, die die Räum- und Streupflicht den Gemeinden als öffentliche Aufgabe zugewiesen haben, so richtet sich deren Verantwortlichkeit nach Amtshaftungsgrundsätzen. Inhalt und Umfang der öffentlich-rechtlichen Räum- und Streupflicht entsprechen der allgemeinen privatrechtlichen Verkehrspflicht, ­sofern keine spezielle öffentlich-rechtliche Norm existiert.[733] Die öffentlich-rechtliche Räum- und ­Streupflicht von Kommunen und anderen öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften wird in § 2 Rdn 1023–1054 behandelt. Im Folgenden wird nur die Streupflicht des Anliegers erörtert. Die Streupflichtobliegt demjenigen, der den Verkehr eröffnet. Die dem Eigentümer eines Grundstücks obliegende Verkehrssicherungspflicht beschränkt sich jedoch grundsätzlich auf den Bereich des Grundstücks, sofern die Räum- und Streupflicht für den öffentlichen Gehweg von der Gemeinde nicht auf die Eigentümer (Anlieger) übertragen worden ist.[734] Ist ein Gebäude ganz oder teilweise vermietet oder verpachtet, so trifft die Streupflicht sowohl den Eigentümer als auch den Mieter oder Pächter.[735] Haben Mieter und Pächter eines Gebäudes einen eigenständigen Verkehr eröffnet, so sind sie neben dem Eigentümer streupflichtig. Es liegt keine Delegation vor. Die selbstständig nebeneinander bestehenden Pflichten können – je nach den konkreten Verhältnissen – einen unterschiedlichen Inhalt und Umfang haben.

a) Abwälzung durch Vertrag

 

Rz. 308

Verkehrssicherungspflichten können mit der Folge eigener Entlastung delegiert werden. Voraussetzung hierfür ist eine klare Absprache, die eine Ausschaltung von Gefahren sicherstellt. Dann verengt sich ­die Verkehrssicherungspflicht des ursprünglich allein Verantwortlichen auf eine Kontroll- und Überwachungspflicht, die sich darauf erstreckt, ob der Dritte die übernommenen Sicherungspflichten auch tatsächlich ausgeführt hat.[736] An die Überwachung wird ein strenger Maßstab angelegt. In der Regel delegiert der Eigentümer im Miet- und Pachtvertrag die Streupflicht auf den Mieter und Pächter. Auch die Bestellung eines Hausmeisters oder eines Verwalters mit entsprechendem Aufgabenbereich entbindet den Verkehrssicherungspflichtigen nicht von seiner Überwachungspflicht.[737] Das Gleiche gilt für die Übertragung der Verkehrssicherungspflicht auf ein Reinigungsunternehmen.[738]

 

Rz. 309

Sieht die Hausordnung einer Wohnungseigentümergemeinschaft einen Streudienst vor, der die einzelnen Eigentümer und die Mieter abwechselnd trifft, sind auch die mit der Durchführung der Streupflicht nicht betrauten Eigentümer zur Überwachung verpflichtet.[739] An den Umfang der bei der Überwachung anzuwendenden Sorgfalt ist ein strenger Maßstab anzulegen.[740] Die Wohnungseigentümergemeinschaft kann die Verkehrssicherungspflicht auf den Verwalter, den Hausmeister oder einen Dritten delegieren; die Kontroll- und Überwachungspflicht der Wohnungseigentümer besteht daneben weiter. Auch der Wohnungseigentumsverwalter ist gegenüber Eigentümern und Dritten verkehrssicherungspflichtig. Er ist zur Vornahme von Gefahrabwehrhandlungen verpflichtet (§ 27 Abs. 1 Nr. 2 und 3 sowie § 27 Abs. 2 Nr. 2 WEG). Ist Gefahr im Verzug, so muss er dieser Pflicht durch eine Eigengeschäftsführungsmaßnahme im Verhältnis zur Wohnungseigentümergemeinschaft nachkommen; andernfalls muss er für eine entsprechende Beschlussfassung durch die Eigentümer sorgen.[741] Im Verhältnis zu Dritten haften Wohnungseigentümergemeinschaft und Verwalter als Gesamtschuldner. Die Wohnungseigentümergemeinschaft ist nicht befugt, durch Mehrheitsbeschluss zu bestimmen, dass die Eigentümer im Winter räumen und streuen müssen, weil die Verkehrssicherungspflicht, die auch gegenüber Dritten besteht, nicht auf das Gemeinschaftseigentum bezogen ist. Eine Verpflichtung der einzelnen Wohnungseigentümer, die Räum- und Streupflicht im Wechsel zu erfüllen, kann daher man...

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