Rz. 11

Die in § 823 BGB geschützten Rechtsgüter können durch eine Handlung oder durch ein – zurechenbares – Unterlassen verletzt worden sein. Unter einer "Handlung" im deliktshaftungsrechtlichen Sinne ist ein der Bewusstseinskontrolle und Willenslenkung unterliegendes beherrschbares Verhalten unter Ausschluss eines physischen Zwangs oder willkürlichen Reflexes durch fremde Einwirkung zu verstehen.[10] Nur ein solches "willkürliches" Verhalten kann dem Schädiger haftungsrelevant zugerechnet werden.

 

Rz. 12

"Unwillkürliche" Körperbewegungen, die vom menschlichen Bewusstsein nicht kontrolliert werden können, denen also jede Willenssteuerung von vornherein fehlt, vermögen eine Verschuldenshaftung nicht zu begründen.[11]

 

Rz. 13

Hierzu zählen insbesondere nicht steuerbare Bewegungen im Schlaf, als Reflex oder in Fällen der vis absoluta.[12] Verliert z.B. ein an einer Ampel stehender Fahrradfahrer infolge einer Ohnmacht und kurzfristiger Bewusstlosigkeit das Gleichgewicht und stürzt gegen ein ebenfalls an der Ampel stehendes Fahrzeug, kann ein willentlich nicht beeinflussbares Geschehen vorliegen, wobei allerdings zu prüfen ist, ob der Schädiger trotzdem haftet, weil er trotz Voraussehbarkeit und Vermeidbarkeit eines solchen Vorfalls als Fahrradfahrer am Straßenverkehr teilgenommen hat.[13]

 

Rz. 14

Derartige Fälle sind beim täglichen Unfallgeschehen aber eher selten. Ein Kind, das mit einem Obstmesser in der Hand nach einem Insekt schlägt, "handelt".[14] Greift ein Beifahrer in das Lenkrad eines fahrenden Pkw, stellt dies schon nach dem äußeren Geschehensablauf eine Handlung im deliktshaftungsrechtlichen Sinne dar und zwar selbst dann, wenn es sich hierbei um eine Schreck- oder Affekthandlung gehandelt hat.[15] Eine "Handlung" ist daher mit Recht auch bejaht worden beim Fallenlassen einer wertvollen Schale aufgrund des Erschreckens beim Zerplatzen eines Luftballons,[16] bei der Reaktion eines Kraftfahrers auf das Hineinfliegen eines Gegenstandes in das Auge durch ruckartige Abwehrbewegungen, so dass er die Gewalt über das Fahrzeug verliert,[17] beim unbedachten Zurücksetzen eines Fußes auf einer Feier, wodurch jemand zu Fall gebracht wird,[18] beim Ausrutschen und Hinunterrutschen auf einer Treppe.[19] Auch wer stolpert, deshalb stürzt und dabei einen anderen unabsichtlich mit umreißt, "handelt", weil der Sturz nicht durch fremde Einwirkung, sondern durch das eigene Verhalten des Schädigers ausgelöst wurde.[20] Ebenso "handelt", wer einen anderen dadurch verletzt, dass er beim "Luftgitarre"-Spielen das Gleichgewicht verliert, weil er sich dabei zu weit über einen Mitspieler gebeugt hat, und schließlich auf ihn gefallen ist, denn er ist für das die Sturzgefahr begründende Verhalten verantwortlich.[21]

 

Rz. 15

Insoweit kommt es sicher auf den Einzelfall an, doch wird die Handlungsqualität z.T. ohne Not vorschnell verneint.[22]

 

Rz. 16

Eine ganz andere Frage ist, ob dem Schädiger ein Verschulden vorgeworfen werden kann, wenn er in einer für ihn nicht voraussehbaren Gefahrenlage keine Zeit zu ruhiger Überlegung hat und deshalb nicht das Richtige und Sachgemäße unternimmt, um den Schadensfall zu verhüten, sondern aus verständlicher Bestürzung objektiv falsch reagiert.[23] Auch wenn man im Fall des unabsichtlichen Sturzes (s.o.) ein "Handeln" bejaht, hängt die Haftung noch davon ab, dass der Schädiger gestürzt ist, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat.[24]

 

Rz. 17

Die Beweislast für das Vorliegen einer "Handlung" trägt nach allgemeinen Regeln der Verletzte. Doch kann dem Geschädigten in Fällen, in denen der Schädiger geltend macht, den Schaden nicht durch ein willensabhängiges selbsttätiges Handeln herbeigeführt zu haben, nicht stets der Beweis für eine willensgesteuerte Handlung auferlegt werden. Vielmehr ist insoweit in Abgrenzung zu Verhaltensweisen im Zustand der Bewusstlosigkeit (§ 827 BGB) zu unterscheiden, aus welchen Gründen es möglicherweise an einem beherrschbaren Verhalten gefehlt hat. Die Rechtsprechung unterscheidet hier zwischen inneren und äußeren Vorgängen.

 

Rz. 18

Behauptet der Schädiger, der Verletzungsvorgang sei unter physischem Zwang erfolgt oder als unwillkürlicher Reflex durch fremde Einwirkung ausgelöst worden, so beruft er sich auf außerhalb seiner Person liegende Umstände, welche die Willenssteuerung seines Verhaltens ausgeschlossen haben sollen. In derartigen Fällen, bei denen bereits das äußere Erscheinungsbild eines eigenständigen Handelns des Täters infrage steht, hat der Geschädigte den Beweis für eine vom Willen getragene Handlung des Schädigers zu führen.

 

Rz. 19

Anderes gilt für die Fälle, in denen eine der Willenslenkung unterliegende Handlung des Schädigers aufgrund innerer Vorgänge, nämlich deshalb fraglich erscheint, weil der Täter möglicherweise bei der Schadensverursachung bewusstlos war. Anders als bei der Schadensverursachung durch ein Reflex- oder Zwangsverhalten ist für die Verursachung von Schäden im Zustand der Bewusstlosigkeit in § 827 S. 1 BGB eine gesetzl...

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