Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Haftung des Patienten für die im Zustand mangelnder Zurechnungsfähigkeit einer Pflegeperson zugefügten Schäden

 

Leitsatz (amtlich)

1. Verletzt ein Patient eine Krankenschwester im Zustand des Delirs erheblich, so fehlt es zwar nicht zwangsläufig an einer willentlichen Handlung als Voraussetzung für die Zurechenbarkeit seines Verhaltens, wohl aber regelmäßig an seiner Zurechnungsfähigkeit im Sinne einer die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand, so dass ein Anspruch aus § 823 BGB nach § 827 BGB ausscheidet.

2. Ist streitig, ob der im Zustand des Delirs handelnde, unzurechnungsfähige Patient im Zeitpunkt der schädigenden Handlung seinen Willen steuern konnte, muss der in Anspruch genommene Patient - entsprechend den in der Rechtsprechung zur Schadensverursachung im Zustand der Bewusstlosigkeit entwickelten Grundsätzen - beweisen, dass er zur Willenssteuerung nicht in der Lage war.

3. Eine Billigkeitshaftung nach § 829 BGB setzt ein wirtschaftliches Gefälle zugunsten des Schädigers voraus, das nicht bereits durch das Bestehen einer privaten Haftpflichtversicherung begründet wird.

4. Zur Frage der Abwägung von Einzelfallumständen, die für oder gegen eine Billigkeitshaftung nach § 829 BGB sprechen.

5. Eine Krankenschwester, die in Ausübung ihrer Tätigkeit durch einen Patienten verletzt wird, kann den Patienten regelmäßig nicht aus dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag in Anspruch nehmen.

 

Normenkette

BGB §§ 253, 670, 683, 823, 827, 829, 249

 

Verfahrensgang

LG Köln (Aktenzeichen 25 O 268/15)

 

Tenor

Der Senat weist die Parteien darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das am 31.01.2017 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 25 O 268/15 - gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.

Die Klägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Hinweis innerhalb von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses (§ 522 Abs. 2 Satz 3 ZPO).

 

Gründe

I. Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, weil das angefochtene Urteil weder auf einer Rechtsverletzung beruht noch nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§§ 522 Abs. 2 Nr. 1, 513 Abs. 1 ZPO). Zu Recht hat das Landgericht die auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung der Schadensersatzpflicht gerichtete Klage abgewiesen, denn der Klägerin stehen gegen den Beklagten keine Ansprüche aufgrund des Vorfalls vom 05.09.2012 zu.

1.) Ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Schmerzensgeld und Ersatz materieller Schäden ergibt sich zunächst nicht aus §§ 823 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2 BGB. Der Beklagte kann gemäß § 827 S. 1 BGB für den Gesundheitsschaden der Klägerin nicht verantwortlich gemacht werden, denn er befand sich, als er die Klägerin in den Oberarm biss, in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit. Nach dem Ergebnis des erstinstanzlich eingeholten Gutachtens von Prof. Dr. S bestehen keine vernünftigen Zweifel (§ 286 ZPO), dass der Beklagte unzurechnungsfähig war, als er nach einem Aufwachversuch auf der Intensivstation die Handmanschetten löste und die Klägerin, als sie ihn daran zu hindern versuchte, den arterielle Zugang an der Hand herauszureißen, in den Oberarm biss. Der Sachverständige ist nach sorgfältiger Auswertung der Behandlungsdokumentation zu dem klaren und eindeutigen Ergebnis gekommen, dass der Beklagte wegen eines Delirs nicht in der Lage gewesen sei, die Situation korrekt einzuordnen. Er habe mit hoher Wahrscheinlichkeit unter Fehlinterpretationen des Geschehens gelitten. Geordnetes Denken sei ihm nicht möglich gewesen. Entgegen der Auffassung der Klägerin spricht gegen die Annahme einer Unzurechnungsfähigkeit nicht, dass der Sachverständige einen willentlichen Biss als nicht belegbar bezeichnet hat. Der Sachverständige ist mit dieser Aussage auf die an ihn gestellte Frage einer zurechenbaren Verletzungshandlung im Sinne eines der Bewusstseinskontrolle und Willenslenkung unterliegenden beherrschbaren Verhaltens eingegangen. Eine willentliche und damit zurechenbare Handlung hat er nicht sicher ausschließen können. Davon zu trennen ist jedoch die Frage der Zurechnungsfähigkeit des Beklagten. Diese hat der Sachverständige eindeutig verneint, zuletzt in der mündlichen Verhandlung mit den eindrücklichen Worten, der Beklagte sei nicht mehr "Herr seiner Sinne" gewesen. Dass der Beklagte die Situation nicht einordnen konnte, leuchtet dem Senat aufgrund der medizinischen Ausführungen des Sachverständigen zu Ursachen und Symptomen eines Delirs durchaus ein.

2.) Ein Anspruch folgt auch nicht aus § 829 S. 1 BGB.

a) Anders als das Landgericht neigt der Senat allerdings zu der Auffassung, dass der Anspruch nicht bereits an dem Nachweis einer zurechenbaren Verletzungshandlung scheitert. Ob sich der Beklagte in einem geistigen Zustand befand, in dem er sein Handeln nicht bewusst kontrollieren und beherrschen konnte, ist streitig und konnte durch das einge...

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