Rz. 85

Eine anwaltliche Vertragspflicht, die rechtliche Prüfung des Mandatsgegenstandes auf das juristische Schrifttum zu erstrecken, kann nur in beschränktem Umfang bestehen.

Das Studium der Kommentare[420] und anderer Fachbücher,[421] die Gesetze unter Angabe der Meinungen in der Rechtsprechung und Rechtslehre zusammenfassend erläutern, ist – auch noch im Zeitalter der juristischen Datenbanken – eine zeitsparende Möglichkeit, sich Kenntnis von der mandatsbezogenen Rechtslage zu verschaffen.[422] Der Anwalt ist verpflichtet, sich bei auftauchenden, nicht geläufigen Rechtsfragen in einigen, zumindest einem dieser Werke in neuester Auflage kundig zu machen und über die neueste Entwicklung zu vergewissern.[423]

Die übrige, unübersehbare rechtswissenschaftliche Literatur braucht der Rechtsanwalt bzgl. des Mandatsgegenstandes nur ausnahmsweise dann einzusehen, wenn der Fortbestand einer höchstrichterlichen Rechtsprechung zweifelhaft ist (vgl. Rdn 82) oder sich eine solche noch gar nicht gebildet hat (vgl. Rdn 83).[424] Im Zweifel wird es für den Anwalt in solchen Fällen ratsam sein, sich der herrschenden Meinung im Schrifttum anzuschließen,[425] wenn sie für seinen Mandanten spricht, oder andernfalls die Problematik mit diesem samt Vor-und Nachteilen, den für und gegen dessen Position sprechenden Argumenten sowie den Risiken zu erörtern und dessen Entschließung abzuwarten.

Ungewöhnliche Fallgestaltungen, die weder Gegenstand einer höchstrichterlichen oder instanzgerichtlichen Entscheidung waren noch in einem der gängigen Kommentare oder Lehrbücher behandelt wurden, hat der Anwalt auf der Grundlage eigener, juristisch begründeter Überlegungen zu bearbeiten.[426]

[420] Zu deren Bedeutung – 1982 – BGHZ 85, 252, 259 ff. = NJW 1983, 820.
[421] Vgl. BGH, NJW 1992, 3237, 3239 = WM 1992, 1662; BGHZ 145, 265, 275 f. = WM 2000, 2443, 2446, jeweils zur Notarhaftung: "Übliche Erläuterungsbücher".
[422] So auch Fahrendorf, in: Fahrendorf/Mennemeyer, Rn 549.
[423] Vgl. z.B. BGH, 9.11.1982 – VI ZR 293/79, BGHZ 85, 252 = NJW 1983, 820, juris, Tz. 26 ff.
[424] Vgl. BGH, NJW 2001, 675, 678 = WM 2000, 2431, 2435; BGH, 6.11.2008 – IX ZR 140/07, BGHZ 178, 258, Tz. 9 = WM 2009, 90; Schneider, MDR 1972, 745.
[425] Vgl. für die Notarhaftung: BGH, NJW 1985, 264, 265; BGH, VersR 1970, 932, 933; BGH, NJW 1992, 3237, 3239; BGHZ 145, 265, 276 ff. = WM 2000, 2443.
[426] BGH, 17.3.2016 – IX ZR 142/14, WM 2016, 2091, Tz. 9.

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