Rz. 84

Erreicht der Instanzenzug das oberste Bundesgericht nicht, so wird der Rechtsanwalt die Rechtsprechung des – örtlich und sachlich zuständigen – (Unter-)Gerichts der letzten Instanz für den Mandatsgegenstand zu berücksichtigen haben.[416] Dies galt etwa für die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte in bestimmten Familien-Folgesachen (§ 629 Abs. 1 ZPO a.F.)[417] und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (vgl. § 28 FGG a.F.). Auch in Mietsachen konnte jedenfalls eine ständige Rechtsprechung einer Spezialkammer des LG zu beachten sein.[418] Nach der Reform der ZPO und der Möglichkeit der Revision auch gegen Urteile der Landgerichte (§ 543 Abs. 1 ZPO) sowie der weitgehenden Einführung der Rechtsbeschwerde zum BGH, etwa in der InsO und dem FamFG, verlor diese Rechtsprechung jedoch an Bedeutung. Das ist aber einem ständigen Wandel unterworfen. So ist in der InsO seit der Streichung ihres § 7 mit Wirkung vom 27.10.2011[419] die Rechtsbeschwerde nur noch bei Zulassung statthaft. Das führt dazu, dass sich in den einzelnen Landgerichtsbezirken infolge der ständigen Änderungen der InsO unterschiedliche Rechtsentwicklungen ergeben, weil die Landgerichte entgegen § 574 Abs. 3 ZPO die Rechtsbeschwerde häufig nicht zulassen und deshalb neue grundsätzliche Rechtsfragen lange nicht geklärt werden können. Der Rechtsanwalt oder Steuerberater, der als (vorläufiger) Insolvenzverwalter oder Treuhänder bestellt ist, muss dann die Rechtsprechung des Landgerichts ebenso berücksichtigen wie der von ihm für das (beabsichtigte) Beschwerdeverfahren bestellte Anwalt.

Eine schuldhafte Pflichtverletzung des Rechtsanwalts wird dort regelmäßig aber nur dann in Betracht kommen, wenn er eine ständige, seinen Mandatsgegenstand prägende Rechtsprechung eines zuständigen Untergerichts außer Acht gelassen hat, an dem er laufend tätig ist. Wegen des weitgehend weggefallenen Lokalitätsprinzips bei der Anwaltszulassung ist es für Anwälte, die täglich deutschlandweit bei den unterschiedlichsten Untergerichten auftreten, oft unmöglich geworden, Besonderheiten in der lokalen Rechtsprechung zu berücksichtigen, die nur durch Erfahrung gerade an diesem Gericht feststellbar sind. Wurden solche Entscheidungen dagegen veröffentlicht, sind sie nach Ablauf einer angemessenen Toleranzzeit auch von ortsfremden Anwälten zu berücksichtigen.

[416] Vgl. OLG Zweibrücken, NJW 2005, 3358; Fahrendorf, in: Fahrendorf/Mennemeyer, Rn 544 ff.; Vollkommer/Greger/Heinemann, § 11 Rn 36 ff.; Schneider, MDR 1972, 745.
[417] Vgl. OLG Frankfurt, FamRZ 1991, 1047, 1048, betreffend einen Anwaltsregress wegen Missachtung einer obergerichtlichen Unterhaltstabelle.
[418] KG, MDR 1993, 178 f.
[419] § 7 InsO aufgeh. durch Art. 2 G v. 21.10.2011, BGBl I 2011, S. 2082 m.W.v. 27.10.2011.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge