Rz. 118

Das "Gebot des sichersten Weges" hat ein Rechtsanwalt z.B. in folgenden Fällen zu beachten:

Kann es auf den Zugang einer empfangsbedürftigen Willenserklärung des Mandanten oder für den Mandanten ankommen, so ist die Zustellung (vgl. § 132 BGB) oder eine zustellungsartige Übermittlung – z.B. ein Einschreiben mit Rückschein – wegen des damit verbundenen Zugangsnachweises sicherer als ein gewöhnlicher Brief oder ein einfaches Einschreiben.[568] Eine Mitteilung des Rechtsanwalts an seinen Mandanten über den Inhalt einer gerichtlichen Entscheidung und mögliche Rechtsmittel kann dagegen mit einfachem Brief versandt werden; eine Nachfrage ist in diesem Fall trotz Schweigens des Mandanten im Regelfall nicht erforderlich. Auf das Verhältnis von Rechtsanwalt und Mandant ist hier nämlich der Grundsatz des sichersten Weges nicht anzuwenden.[569]
Soll ein Rechtsanwalt für seinen Mandanten eine Gesellschaft am letzten Tag der Frist kündigen, so ist es möglich, dass die Gegenseite einräumt, von der Bevollmächtigung durch den Vollmachtgeber in Kenntnis gesetzt worden zu sein (vgl. § 174 Satz 2 BGB). Für den nicht auszuschließenden Fall, dass dies doch bestritten wird, ist es sicherer, dass der Anwalt mit der Kündigungserklärung eine Vollmachtsurkunde vorlegt (§ 174 Satz 1 BGB).[570]
Soll der Rechtsanwalt einen Vertrag seines Auftraggebers für die Zukunft beenden, so kann es ausreichen, dass der Anwalt ggü. dem Vertragsgegner zu erkennen gibt, sein Mandant wolle von dem Vertrag Abstand nehmen. Sicherer und frei von der Gefahr eines Missverständnisses ist eine eindeutige Wortwahl unter Gebrauch des einschlägigen Fachausdrucks – "Kündigung", nicht "Rücktritt".[571]
Eine Klage auf Zahlung von Unterhalt kann zwar in eine Abänderungsklage gem. § 323 ZPO umgedeutet werden; sicherer ist es aber, sich nicht darauf zu verlassen und von vornherein eine solche Klage zu erheben.[572]
Will ein Mandant nach § 326 BGB a.F. (vgl. § 325 BGB n.F.) den Kauf einer mangelhaften Sache rückgängig machen, so kann er mit einem Rücktritt vom Vertrag die Rückzahlung des Kaufpreises und den Ersatz von Verzugsschäden bis zum Rücktritt verlangen; demgegenüber ist jedoch ein Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung des Vertrages der bessere und sicherere Weg, bereits entstandene Nachteile – einschließlich der Kaufpreiszahlung – und künftige Folgeschäden auf den Verkäufer abzuwälzen.[573]
Erklärt der Mandant seinem Rechtsanwalt, anlässlich der beabsichtigten Ehescheidung wolle seine Ehefrau keine Rechte aus einem Versorgungsausgleich geltend machen, so war eine Vereinbarung gem. § 1587o BGB a.F. möglich, die vom FamG genehmigt werden musste. Der erstrebte Ausschluss des Versorgungsausgleichs war jedoch sicherer erreicht, wenn ein notariell beurkundeter Ehevertrag geschlossen (§§ 1408, 1410 BGB) und die Ehescheidung erst ein Jahr nach Vertragsschluss beantragt (§ 1408 Abs. 2 Satz 2 BGB) wurde[574] (vgl. jetzt § 1408 Abs. 2 BGB, §§ 6 und 8 VersAusglG).
Erhebt ein Rechtsanwalt eine Kündigungsschutzklage (nur) gegen eine (zweite) Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, obwohl er Anhaltspunkte dafür hat, dass ggü. seinem Mandanten zuvor in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang schon eine (erste) Kündigung ausgesprochen worden ist, so ist es möglich, dass das ArbG von einer einheitlichen Kündigung ausgeht, bei der die zweite Erklärung die erste umfasst. Sicherer und ungefährlicher ist es, die fristgerechte Klage auf beide Kündigungen zu erstrecken.[575]
Tritt eine GmbH auf Rat ihres Rechtsanwalts eine einzuklagende Forderung trotz eines Abtretungsverbotes in AGB ab, um ihrem Geschäftsführer die Zeugenstellung im Prozess zu verschaffen, so ist es möglich, dass das Gericht die Ansicht des Rechtsanwalts teilt, das Abtretungsverbot, zu dem höchstrichterliche Rechtsprechung fehlt und das von einem Teil des Schrifttums für unwirksam gehalten wird, sei unzulässig. Sicherer ist es, die Forderung im Namen der GmbH einzuklagen und entweder deren Geschäftsführer nach seiner Abberufung als Zeugen zu benennen oder zum Beweis der Forderung auf eine überzeugende Parteierklärung des Geschäftsführers[576] zu vertrauen.[577]
Ist unklar, wann der Anspruch verjährt ist, den der frühere Anwalt der Mandanten versäumt hat geltend zu machen, und ist deshalb auch unklar, wann der Schaden des Mandanten eingetreten ist und die Verjährungsfrist (nach altem Recht) zu laufen begonnen hat, ist die für den Mandanten ungünstigste Alternative für die Anspruchssicherung zugrunde zu legen.[578]
War nach § 326 Abs. 2 BGB a.F. unklar, ob die Erfüllung des Vertrages für den Mandanten kein Interesse mehr hatte und deshalb eine Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung entbehrlich war, musste eine solche Ablehnungsandrohung jedenfalls vorsorglich mit der Fristsetzung verbunden werden, weil damit jedenfalls die Rechte des Mandanten gesichert werden konnten.[579] War dies nicht geschehen, muss der Anwalt zumindest versuchen, die Voraussetzungen der dem Mandanten günstigen Anwendung de...

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