1. Gesetzliche Regelung

 

Rz. 261

Diese Vorschrift will zugunsten des Schuldners erreichen, dass trotz des standardisierten Lohnpfändungsverfahrens die individuellen Bedürfnisse im konkreten Einzelfall zu berücksichtigen sind. Ein Pfändungsschutz bei Leistungen einer Versicherung (z.B. Unfallversicherung) besteht jedoch nicht für selbstständige Gewerbetreibende oder ehemals selbstständig Tätige. Einkünfte freiberuflich Tätiger, Selbstständiger oder nicht berufstätiger Personen sind kein Arbeitseinkommen i.S.d. § 850 ZPO und diesem auch nicht gleichzustellen.[366] Deshalb verbleibt es für den Personenkreis von freiberuflich Tätigen, Selbstständigen oder nicht berufstätigen Personen bei den allgemeinen Vollstreckungsschutzvorschriften. Einen begrenzten Pfändungsschutz erlangt ein solcher Schuldner nach § 765a ZPO, wenn das Existenzminimum des Schuldners gefährdet ist oder ohne öffentliche Hilfen gefährdet wäre.

 

Rz. 262

Die Schuldnerschutzkriterien sind aber nicht nur bei Pfändungen, sondern auch auf Lohn- und Gehaltsabtretungen anzuwenden. Für die Entscheidung über die Herabsetzung des abtretbaren Teils des Arbeitseinkommens des Schuldners ist dann jedoch nicht das Vollstreckungsgericht, sondern das Prozessgericht zuständig.[367]

 

Rz. 263

Bei der Berechnung des notwendigen Lebensunterhalts im Rahmen einer Pfändung von Arbeitseinkünften hat auch eine Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen an die mit dem Schuldner in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Lebenspartnerin zu erfolgen. Denn es soll im öffentlichen Interesse vermieden werden, dass dem Schuldner durch die Vollstreckung das Existenzminimum genommen wird mit der Folge, dass das Fehlende durch Sozialleistungen ersetzt und die Forderung letztlich von der Allgemeinheit aus Steuermitteln bedient werden muss. Sofern aufgrund der Bedarfsgemeinschaft Sozialleistungen für die Lebensgefährtin des Schuldners versagt werden, könnte sich der Schuldner zudem der daraus resultierenden finanziellen Belastung nur durch Beendigung der Bedarfsgemeinschaft mit seiner Lebensgefährtin entziehen, was dem Schuldner auch unter Berücksichtigung der Gläubigerinteressen nicht zumutbar ist.[368]

 

Rz. 264

 

Schaubild 4: § 850f ZPO

§ 850f Abs. 1 § 850f Abs. 2  
Erhöhung des unpfändbaren Betrags Ermäßigung des unpfändbaren Betrags  
Antrag des Schuldners Antrag des Gläubigers (Deliktsgläubiger)  

Gründe:

Sozialhilfebedürftigkeit
Persönliche Gründe
Berufliche Gründe
Zahl der Unterhaltsberechtigten

Grund:

Deliktsanspruch
 
 

Nachweis:

Urteilstenor
Urteilsgründe
Feststellungsurteil
 
 

Rz. 265

Für ein Verfahren nach § 850f Abs. 1 ZPO bedarf es eines eindeutigen Antrages des Schuldners, eine Amtsermittlung findet nicht statt. Eine Erhöhung der unpfändbaren Beträge kann jedoch auch im Rahmen einer Erinnerung gem. § 766 ZPO gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss beantragt werden.[369]

 

Rz. 266

Die Vorschrift ist auch bei einer Unterhaltsvollstreckung anwendbar.[370]

 

Rz. 267

Örtlich Zuständigkeit ist das Vollstreckungsgericht, welches den Pfändungsbeschluss erlassen hat.[371] Im Insolvenzverfahren ist das Insolvenzgericht zuständig.[372]

 

Rz. 268

In der Verwaltungsvollstreckung nach der AO gilt § 850f ZPO sinngemäß. Zuständig zur Entscheidung ist daher die jeweilige Verwaltungsvollstreckungsbehörde.[373]

[366] LG Frankfurt/Oder v. 29.8.2001 – 6 (a) T 174/00, Rpfleger 2002, 322.
[367] BGH v. 28.5.2003 – Ixa ZB 51/03, Rpfleger 2003, 516 = NJW-RR 2003, 1367 = KTS 2003, 640 = MDR 2003, 1192 = WM 2003, 1346; OLG Köln v. 18.2.1998 – 12 W 4/98, Rpfleger 1998, 354 = VersR 1999, 124 = NJW-RR 1998, 1689; überholt damit die a.A. LG Heilbronn v. 10.1.2001 – 1b T 516/00, JurBüro 2001, 327 = Rpfleger 2001, 190; hierzu auch Winter, Rpfleger 2000, 149.
[368] LG Bielefeld v. 28.1.2020 – 23 T 38/20, juris.
[369] LG Stuttgart v. 24.8.1993 – 2 T 702/93, Rpfleger 1994, 175.
[370] BGH v. 12.12.2003 – Ixa ZB 225/03, Rpfleger 2004, 297 = NJW-RR 2004, 506 im Anschluss an BAG v. 26.9.2002 – 2 AZR 636/01, NJW 2003, 2118 = Rpfleger 2003, 593; OLG Frankfurt v. 13.7.1999 – 26 W 52/99, Rpfleger 1999, 553 L = NJW-RR 2000, 220 = FamRZ 2000, 614; Musielak/Voit/Flockenhaus, ZPO, § 850f Rn 1; a.A.: LG Berlin v. 12.8.1992 – 81 T 399/92, Rpfleger 1993, 120.
[371] LG Verden v. 28.1.2009 – 2b AR 1/09, BeckRS 2009, 26817.

2. Soziale Gründe

 

Rz. 269

§ 850f Abs. 1 Alt. 1 ZPO ist mit Wirkung v. 1.7.1992 in das Gesetz eingefügt worden und soll der Situation der ständig steigenden Lebenshaltungskosten Rechnung tragen. Sofern die Pfändungsfreibeträge nach der amtlichen Lohnpfändungstabelle oder die festgelegten Freibeträge bei einer Unterhaltspfändung unter die Höhe des notwendigen Lebensunterhalts i.S.d. SGB II bzw. XII fallen, muss das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Schuldners den Pfändungsbeschluss entsprechend korrigieren. Aufgrund der Dynamisierung der Pfändungsfreigrenzen, § 850c Abs. 4 ZPO, sind Anträge des Schuldners aufgrund dieser Vorschrift eher selten ge...

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