Rz. 816

Als dritten und letzten Entbindungsgrund sieht § 102 Abs. 5 S. 2 Nr. 3 BetrVG die offensichtliche Unbegründetheit des Widerspruchs des BR vor. Nur wenn sich die Grundlosigkeit des formell ordnungsgemäßen Widerspruchs bei unbefangener Beurteilung geradezu aufdrängt, ist dieser aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen offensichtlich unbegründet.[1946] Dies ist der Fall, wenn der Äußerung des BR die Grundlosigkeit "auf die Stirn geschrieben steht".[1947] Die Unbegründetheit darf nicht erst nachträglich erkennbar sein; maßgeblich ist der Zeitpunkt der Erhebung des Widerspruchs.[1948]

 

Rz. 817

Offensichtliche Unbegründetheit des Widerspruchs des BR liegt insbesondere vor, wenn er sich nicht auf einen der in § 102 Abs. 3 Nr. 1–5 BetrVG abschließend aufgezählten Widerspruchsgründe bezieht. Auch wenn der Arbeitgeber glaubhaft machen kann, dass die vom BR vorgebrachten Widerspruchsgründe tatsächlich nicht vorliegen, kann der Widerspruch offensichtlich unbegründet sein. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der BR auf Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in einem anderen Konzernunternehmen verweist (und keine Konzernversetzungsklausel vereinbart ist) oder die behauptete Auswahlrichtlinie nach § 95 BetrVG nicht existiert.[1949] Auch wenn ein Widerspruch, der an formellen Mängeln leidet (etwa nicht fristgerecht erhoben oder nicht schriftlich mitgeteilt wurde) und daher unbegründet ist, an sich bereits keinen Weiterbeschäftigungsanspruch i.S.d. § 102 Abs. 5 S. 1 BetrVG auslöst, besteht in diesen Fällen aus Sicht des Arbeitgebers gleichwohl die Gefahr, einem Weiterbeschäftigungsverlangen des Arbeitnehmers ausgesetzt zu sein, so dass auch bei formell nicht ordnungsgemäß erhobenem Widerspruch des BR die Entbindungsmöglichkeit nach § 102 Abs. 5 S. 2 Nr. 3 BetrVG besteht.[1950] Allerdings fehlt es am Rechtschutzbedürfnis des Arbeitgebers, solange der Arbeitnehmer seine Weiterbeschäftigung nach § 102 Abs. 5 BetrVG nicht verlangt hat.

[1946] LAG München 17.12.2003 – 5 Sa 1077/03, NZA-RR 2005, 312; APS/Koch, § 102 BetrVG Rn 223.
[1948] KR/Rinck, § 102 BetrVG Rn 309.
[1949] LAG Berlin 5.9.2003 – 13 Sa 1629/03, EzA-SD 2003, Nr. 22, 12 (Leitsatz 1).
[1950] Hess. LAG, 15.2.2013 – 14 SaGa 1700/12, juris; LAG Schleswig-Holstein 19.5.2010 – 6 SaGa 9/10, juris; LAG Nürnberg 5.9.2006 – 6 Sa 485/06, juris; KR/Rinck, § 102 BetrVG Rn 311.

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