aa) Hintergrund und Bedeutung

 

Rz. 458

Ethikrichtlinien betreffen das Thema Compliance, also die Einhaltung und Befolgung sämtlicher für ein Unternehmen geltender Vorschriften.[1229] Compliance ist letztlich für jedes Unternehmen von elementarer Bedeutung, da Rechtsverstöße gravierende rechtliche und wirtschaftliche Folgen haben können.[1230] Um Compliance-Verstöße zu vermeiden, gehen immer mehr Unternehmen dazu über, umfassende Compliance-Richtlinien zu implementieren, deren Inhalt, Umfang und Bezeichnung (beispielsweise als Verhaltenskodex, Code of Conduct, Code of Ethics oder Business Conduct Guidelines) mitunter stark variieren. Unabhängig von Bezeichnung und Reichweite sollen sie stets sicherstellen, dass sich nicht nur die Vertreter des Unternehmens, sondern auch sämtliche Mitarbeiter rechtstreu und nach bestimmten ethisch-moralischen Standards verhalten.[1231] Zugleich dienen sie als Hilfestellung für die Mitarbeiter im Falle eines Interessenkonflikts.[1232]

[1229] Vgl. zum Compliance-Begriff Küttner/Kreitner Compliance Rn 1; Steffen/Stöhr, RdA 2017, 43.
[1230] Hierzu Stück, ArbRAktuell 2015, 337.
[1231] Oberthür/Seitz/Chwalisz, Betriebsvereinbarungen, B. II. Rn 4a.
[1232] Schneider/Sittard, NZA 2007, 654.

bb) Rechtliche Grundlagen

 

Rz. 459

In Deutschland existieren – anders als etwa in den USA – bislang nur vereinzelt gesetzliche Regelungen über die Einführung von Compliance-Richtlinien, etwa in den Aufsichtsvorschriften für die Finanzwirtschaft.[1233] Nach einer Entscheidung des LG München soll allerdings – unabhängig von den Vorgaben des DCGK[1234] – aus den aktienrechtlichen Vorschriften eine Compliance-Pflicht des Vorstands folgen. Dieser habe im Rahmen seiner Legalitätspflicht dafür Sorge zu tragen, dass das Unternehmen so organisiert und beaufsichtigt werde, dass keine Gesetzesverstöße erfolgten. Seiner Organisationspflicht genüge der Vorstand bei entsprechender Gefährdungslage nur dann, wenn er eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Compliance-Organisation einrichte.[1235]

 

Rz. 460

Arbeitsrechtlich umsetzen lassen sich Ethikrichtlinien sowohl individualrechtlich qua Direktionsrecht oder arbeitsvertraglicher Regelung[1236] als auch kollektivrechtlich, insbesondere im Wege einer Betriebsvereinbarung. Die Beteiligung des Betriebsrats ist dabei unabhängig von der Art der Umsetzung unumgänglich, soweit die einzuführenden Richtlinien mitbestimmungspflichtig sind.[1237]

 

Praxistipp

Die Einführung von Ethikrichtlinien im Wege einer Betriebsvereinbarung kann aufwendige Verhandlungs- und Zustimmungsverfahren mit den einzelnen Arbeitnehmern vermeiden und ermöglicht im weiteren Verlauf auch anpassende bzw. ablösende Vereinbarungen mit nur einem Verhandlungspartner. Sie bietet zudem in den Grenzen des § 75 BetrVG eine gewisse Richtigkeitsgewähr.[1238] Allerdings gilt sie weder für Leitungsorgane noch für leitende Angestellte. In betriebsratslosen Unternehmen ist dagegen eine individualrechtliche Umsetzung mit allen Arbeitnehmern zwingend.

[1233] Hierzu Steffen/Stöhr, RdA 2017, 43.
[1234] Gemäß Grundsatz 5 des Deutschen Corporate Governance Codex 2020 hat der Vorstand für die Einhaltung der gesetzlichen ­Bestimmungen und der internen Richtlinien zu sorgen und auf deren Beachtung im Unternehmen hinzuwirken.
[1235] LG München 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, NZA 2014, 345 f.; s. auch Arnold, ZGR 2014, 78 ff.; Stück, GmbHR 2016, 561.
[1236] Ausführlich hierzu Kempter/Steinat, NZA 2017, 1505, 1509 f.; Steffen/Stöhr, RdA 2017, 43. 45 f.; Stück, GmbHR 2016, 561, 563 f.
[1237] Steffen/Stöhr, RdA 2017, 43, 47.
[1238] Kempter/Steinat, NZA 2017, 1505, 1509.

cc) Beteiligung des Betriebsrats

 

Rz. 461

Ob und nach welcher Norm der Betriebsrat bei der Einführung von Ethikrichtlinien mitzubestimmen hat, ist im Hinblick auf jede einzelne Regelung gesondert zu beurteilen.[1239] Einschlägig ist regelmäßig § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Danach hat der Betriebsrat bei Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb mitzubestimmen. Erfasst ist das betriebliche Zusammenleben und Zusammenwirken der Arbeitnehmer in Abgrenzung zum Arbeitsverhalten, also solchen Vorgaben, mit denen die Arbeitspflicht unmittelbar konkretisiert und abgefordert wird.[1240] Soweit eine Ethikrichtlinie das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer betrifft,[1241] setzt das Mitbestimmungsrecht dabei nicht voraus, dass sie verbindliche Verhaltensregeln aufstellt. Ausreichend ist, dass eine Regelung darauf gerichtet ist, das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb zu steuern bzw. die Ordnung im Betrieb zu gewährleisten.[1242]

 

Rz. 462

§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ist einschlägig, soweit Regelungen einer Ethikrichtlinie den Einsatz technischer Mittel vorsehen, die geeignet sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Mitbestimmungspflichtig sind daher insbesondere Regelungen, welche die Kontrolle von E-Mails, Datenbanken oder Festplatten der Mitarbeiter erlauben.[1243] Als weiteres Mitbestimmungsrecht kommt § 94 BetrVG in Betracht, wenn Ethikrichtlinien bestimmte Arbeitnehmergruppen in Gestalt eines Personalfragebo...

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