Rz. 589

Die o.g. Beschlüsse des BAG[1437] klären die Integration der Mitbestimmung des Betriebsrates in die dem Arbeitgeber obliegenden Aufgaben des Gesundheitsschutzes. Die Leitlinie Gefährdungsbeurteilung und Dokumentation der GDA definiert den Begriff Gefährdungsbeurteilung wie folgt:

Zitat

"Die Gefährdungsbeurteilung ist die systematische Ermittlung und Bewertung relevanter Gefährdungen der Beschäftigten mit dem Ziel, die erforderlichen Maßnahmen für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit festzulegen."

Die Gefährdungsbeurteilung betrachtet alle voraussehbaren Tätigkeiten und Arbeitsabläufe im Betrieb. Dazu gehören auch Tätigkeiten und Arbeitsabläufe wie z.B. Wartung, Instandhaltung oder Reparatur.

Bei der Überprüfung der Gefährdungsbeurteilung ist darauf zu achten, dass folgende Prozessschritte berücksichtigt wurden:

1. Festlegen von Arbeitsbereichen und Tätigkeiten

2. Ermitteln der Gefährdungen

3. Beurteilen der Gefährdungen

4. Festlegen konkreter Arbeitsschutzmaßnahmen nach dem Stand der Technik (bei diesem Schritt ist die Rangfolge der Schutzmaßnahmen nach § 4 ArbSchG zu beachten)

5. Durchführen der Maßnahmen

6. Überprüfen der Wirksamkeit der Maßnahmen

7. Fortschreiben der Gefährdungsbeurteilung (insbesondere Anpassung im Falle geänderter betrieblicher Gegebenheiten nach § 3 ArbSchG).

Die Verpflichtung des Arbeitgebers nach § 12 ArbSchG zur Unterweisung ist zu beachten.“[1438]

Auch die Bundesanstalt für Arbeit Schutz und Arbeitsmedizin (BAuA) übernimmt diese Begriffsbestimmung auf ihren Seiten unter der Überschrift "7 Schritte zur Gefährdungsbeurteilung".[1439] Diese Darstellung findet sich auch in der einschlägigen Kommentarliteratur.[1440]

 

Rz. 590

Die Mitbestimmung des Betriebsrates besteht im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften über den Gesundheitsschutz. Die 7 Prozessschritte der Gefährdungsbeurteilung basieren auf unterschiedlichen Normen des Gesetzes. Das BAG hat in den Beschlüssen vom 13.8.2019 – 1 ABR 6/18 und vom 19.11.2019 – 1 ABR 22/18[1441] durch Auslegung der §§ 5 und 3 des ArbSchG herausgearbeitet, bei welchen inhaltlichen Themen der Betriebsrat in den verschiedenen Prozessschritten des Kreislaufs des ArbSchG mitbestimmt:

§ 5 ArbSchG regelt die Verpflichtung des Arbeitgebers, die mit der Arbeit verbundenen Gefährdungen zu ermitteln. Die Ausfüllung dieses Handlungsauftrages an den Arbeitgeber ist im Mitbestimmungsverfahren zu klären. Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung sei die Feststellung, ob Gefährdungen vorliegen und hieraus ein Handlungsbedarf erwachse. Die Dringlichkeit des Handlungsbedarfes sei in der Gefährdungsbeurteilung festzustellen.

Erst danach entstehe die umfassende und präventive Handlungspflicht des Arbeitgebers aus § 3 Abs. 1 S. 1 ArbSchG, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, welche die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Ein ihm hierbei zustehender Entscheidungsspielraum sei – mitbestimmungsrechtlich – der Rahmenvorschrift des § 3 Abs. 1 ArbSchG zugeordnet. Ergäbe sich aus der Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG, dass Schutzmaßnahmen erforderlich sind, habe der Arbeitgeber diese nach § 3 Abs. 1 S. 1 ArbSchG zu treffen. Könne eine Gefährdung durch unterschiedliche mögliche Schutzmaßnahmen beseitigt oder zumindest reduziert werden, bestehe im Rahmen dieser Norm ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bei der Entscheidung, welche der möglichen Maßnahmen umgesetzt werden soll. Diese Ebene der Mitbestimmung werde aber erst nach Durchführung der Gefährdungsbeurteilung erreicht.

 

Rz. 591

Im Auftrag zur Gefährdungsbeurteilung sei der untersuchenden Person durch Betriebsvereinbarung vorzugeben, dass ggf. festgestellte Gefährdungen im Hinblick auf das mit ihnen verbundene Risiko (Eintrittswahrscheinlichkeit und Ausmaß eines möglichen Schadens) zu bewerten sind und eine sich daraus ergebende Dringlichkeit eines Handlungsbedarfes bestimmt werden muss. Fehle es daran, sei keine Grundlage gegeben, über mögliche Maßnahmen des Gesundheitsschutzes nach § 3 ArbSchG zu verhandeln.

 

Rz. 592

Im Beschluss vom 13.8.2019 betont das BAG, die Betriebsvereinbarung zur Gefährdungsbeurteilung müsse Verfahrensregelungen zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen aufstellen.[1442] Den Arbeitgeber treffe die Verpflichtung, anknüpfend an die beispielhafte Aufzählung möglicher Gefährdungen in § 5 Abs. 3 ArbSchG, alle denkbaren Gefährdungen zu ermitteln. In der Betriebsvereinbarung zur Gefährdungsbeurteilung seien die möglichen Ursachen etwaiger Gefährdungen nicht näher zu bestimmen, denn deren Ermittlung sei Gegenstand der durchzuführenden Gefährdungsbeurteilung, nicht aber Aufgabe der Betriebsparteien bzw. Einigungsstelle bei der Verhandlung um eine entsprechende Betriebsvereinbarung.

 

Rz. 593

Damit gibt der Senat seine gegenteilige Auffassung auf, die im Beschluss vom 4.6.2004[1443] formuliert war: zu regeln sei gerade, welche Arbeitsplätze mit welchen Methoden auf mögliche Gefährdungsursache...

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